Die Kartause von Parma
lockt mich. Im gräßlichen Falle eines Unglücks mildert es den Sturz. Erst einmal so weit, bist Du im Wallgraben, der nicht besonders bewacht wird. Wenn man Dich dort angreifen sollte, schießt Du mit Deiner Pistole und verteidigst Dich eine Weile. Dein Freund aus Ferrara und ein anderer beherzter Mann, eben der, den ich den Straßenräuber nenne, werden mit Leitern unverzüglich den ziemlich niedrigen Wall erklettern und Dir zu Hilfe eilen.
Der Wall ist nur dreiundzwanzig Fuß hoch und hat eine sehr starke Böschung. Ich werde am Fuße dieses letzten Hindernisses mit einer guten Zahl Bewaffneter warten.
Ich hoffe, daß ich Dir auf gleichem Wege fünf bis sechs weitere Briefe schicken kann. Ich werde Dir immer wieder dasselbe in anderen Worten wiederholen, damit wir uns nicht mißverstehen. Du ahnst, wie es mir ums Herz ist, wenn ich Dir sage, daß der Mann, der den Reitknecht niedergeknallt haben wollte und der doch trotz allem der beste Mensch ist und vor Reue stirbt, meint, daß Du mit einem gebrochenen Arm davonkommen wirst. Der Straßenräuber, der in solchen Unternehmungen mehr Erfahrung hat, meint, wenn Du ganz behutsam hinabkletterst, und vor allem, ohne zu hasten, koste Dich Deine Freiheit nur ein paar Hautabschürfungen. Die Hauptschwierigkeit ist die, daß Du die Seile bekommst. Darüber allein grüble ich seit vierzehn Tagen nach; diese Hauptsache beschäftigt alle meine Gedanken.
Auf jene Torheit, das einzige Sinnlose, das Du in Deinem Leben gesagt hast: ›Ich will mich nicht retten!‹ habeich keine Antwort. Der Mann, der den Reitknecht niedergeknallt haben wollte, meint, die Langeweile habe Dich verrückt gemacht. Ich verhehle Dir keineswegs, daß wir eine sehr bedrohliche Gefahr befürchten, die vielleicht Deine Flucht beschleunigen wird. Um Dir diese Gefahr mitzuteilen, werden Dir die Lichtzeichen mehrmals hintereinander verkünden:
Es brennt im Schloß!
Du gibst zur Antwort:
Sind meine Bücher verbrannt?
Der Brief enthielt noch fünf oder sechs Seiten voller Einzelheiten; er war auf ganz dünnes Papier in der winzigsten Schrift geschrieben.
›Alles das ist sehr schön und vortrefflich ausgedacht‹, sagte sich Fabrizzio. ›Ich bin dem Grafen und der Duchezza ewige Dankbarkeit schuldig. Vielleicht werden sie glauben, ich hätte Angst, aber ich werde auf keinen Fall fliehen. Ist schon einmal jemand von dem Ort geflohen, wo er sein höchstes Glück gefunden hat, um sich in eine widerwärtige Verbannung zu stürzen, wo er nichts hat, außer daß er atmet? Was täte ich, wenn ich vier Wochen in Florenz bin? Ich würde verkleidet um das Tor dieser Zitadelle schleichen und versuchen, einen Blick zu erhaschen.‹
Anderntags erlebte Fabrizzio einen Schrecken. Gegen elf Uhr stand er am Fenster und schaute nach der herrlichen Landschaft in Erwartung des glücklichen Augenblickes, da er Clelia sehen würde; da trat Grillo atemlos in seine Zelle: »Rasch, rasch, Monsignore! Legen Sie sich in Ihr Bett und stellen Sie sich krank! Da kommen drei Richter die Treppe herauf! Sie wollen Sie verhören! Überlegen Sie recht, ehe Sie antworten! Man wird Sie in ein Kreuzverhör nehmen!«
Indem Grillo diese Worte sagte, setzte er schleunigst den Deckel auf das Guckloch im Fensterschirm, stieß Fabrizzio auf sein Bett und deckte ihn mit zwei oder drei Mänteln zu.
»Sagen Sie, Sie hätten große Schmerzen, und reden Sie wenig! Lassen Sie sich vor allem alle Fragen wiederholen, um überlegen zu können.«
Die drei Richter traten ein. ›Drei entsprungene Zuchthäusler,‹ meinte Fabrizzio bei sich, als er ihre gemeinen Physiognomieen erblickte, ›aber keine drei Richter!‹ Sie trugen lange, schwarze Talare, grüßten feierlich und ließen sich, ohne ein Wort zu sagen, auf den drei Stühlen nieder, die in der Zelle standen.
»Monsignore Fabrizzio del Dongo,« begann der älteste, »uns führt ein trauriger Auftrag zu Ihnen. Wir sind gekommen, Ihnen das Ableben Seiner Exzellenz des Herrn Marchese del Dongo zu melden, Ihres Herrn Vaters, Vize-Oberhofmarschalls des lombardo-venezianischen Königreichs, Ritter höchster Orden...«
Fabrizzio brach in Tränen aus. Der Richter fuhr fort: »Frau Marchesa del Dongo, Ihre Frau Mutter, teilt Ihnen diese Nachricht durch ein Schreiben mit; da sie aber unstatthafte Bemerkungen daran knüpft, hat der Gerichtshof unter dem gestrigen Tage verfügt, daß Ihnen das Schreiben nur auszugsweise bekanntzugeben sei, und diesen Auszug wird Ihnen Herr Kanzlist Bona jetzt
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