Die Kartause von Parma
verändert: seine Augen, durch seine außerordentliche Magerkeit wie vergrößert, traten stark hervor; er selber hatte in seinem engen und schäbigen schlichten schwarzen Priesterrock ein so dürftiges und unglückliches Aussehen, daß die Duchezza bei diesem ersten Wiedersehen gleichfalls weinen mußte. Aber im Augenblick darauf, als sie sich sagte, daß diese ganze Veränderung des vornehmen jungen Mannes ihre Ursache in Clelias Verheiratung hatte, hegte sie Empfindungen, die an Heftigkeit beinahe denen des Erzbischofs gleichkamen, wenngleich sie sich gewandter beherrschte. Sie war grausam genug, lang und breit gewisse malerische Einzelheiten zu schildern, die den vom Marchese Crescenzi veranstalteten Festen einen besonderen Reiz gegeben hatten. Fabrizzio antwortetenicht, aber er schloß die Augen mit fast krampfhafter Bewegung und wurde – was zunächst kaum möglich schien – noch bleicher, als er schon war. Während dieses lebhaften Schmerzes nahm seine Blässe eine grünliche Färbung an.
Graf Mosca kam hinzu, und was er sah, erschien ihm kaum glaublich, aber es heilte ihn gänzlich von der Eifersucht, die Fabrizzio fortwährend in ihm erregt hatte. Mit der ihm eigenen Gewandtheit versuchte er in den feinsten und geistreichsten Wendungen, in Fabrizzio wieder etwas Teilnahme für weltliche Dinge zu erwecken. Der Graf hatte ihm allezeit viel Achtung und große Freundschaft bewiesen. Jetzt, da diese Freundschaft kein Gegengewicht mehr in der Eifersucht hatte, ward sie beinahe herzlich. ›In der Tat,‹ sagte er sich, ›er hat sein äußeres Glück teuer genug er kauft!‹ Unter dem Vorwand, ihm das Gemälde Parmigianinos zu zeigen, das der Fürst der Duchezza geschenkt hatte, nahm Mosca Fabrizzio beiseite.
»Nun, mein Freund, sprechen wir wie Männer! Kann ich Ihnen in irgend etwas zu Diensten sein? Denken Sie nicht etwa, ich sei neugierig. Brauchen Sie Geld? Brauchen Sie meinen Einfluß? Sagen Sie es! Ich stehe Ihnen zur Verfügung. Wenn Sie es mir lieber schreiben wollen, so schreiben Sie mir!«
Fabrizzio umarmte ihn zärtlich und sprach von dem Gemälde.
»Ihr Benehmen«, fuhr der Graf im Plauderton fort, »ist ein Meisterstück der feinsten Diplomatie. Sie bereiten sich eine überaus angenehme Zukunft. Der Fürst schätzt sie. Das Volk verehrt Sie. Ihr abgeschabtes schwarzes Röckchen bereitet Monsignore Landriani schlaflose Nächte. Ich habe eine gewisse Welterfahrung, aber ich kann Ihnen feierlich versichern, ich wüßte nicht, welchen Rat ich Ihnen geben sollte, um das, was ich sehe, zu vervollkommnen. Mit dem ersten Schritt in die Welt, mit fünfundzwanzig Jahren, haben Sie die Meisterschaft erlangt.
Man spricht viel von Ihnen am Hofe; und wissen Sie, welchem Umstand Sie diese in Ihrem Alter einzig dastehende Auszeichnung zu verdanken haben? Ihrem schäbigen schwarzen Röckchen. Die Duchezza und ich, wir verfügen, wie Sie wissen, über die einstige Villa des Petrarca [Stendhal hat hier offenbar das Haus Petrarcas in Arqua Petrarca bei Battaglia südlich von Padua im Sinne.] auf dem schönen Hügel mitten im Walde, nahe am Po. Sollten Sie je des kleinlichen neidischen Treibens der Menschen müde werden, so hoffe ich, Sie werden der Nachfolger Petrarcas. Nehmen Sie seinen Ruhm zu dem Ihrigen!«
Der Graf marterte seinen Geist, um diesem Anachoretenantlitz ein Lächeln zu entlocken, aber es gelang ihm nicht. Was die Veränderung noch merkbarer machte, das war das völlige Verschwinden gewisser Züge in Fabrizzios Gesicht, die Sinnlichkeit und Heiterkeit verraten hatten. Mosca trennte sich nicht von ihm, ohne ihm zu sagen, es könne trotz seinem Retiro als Ziererei ausgelegt werden, wenn er am nächsten Sonnabend, zum Geburtstage der Fürstinwitwe, nicht bei Hofe erschiene. Das fuhr Fabrizzio wie ein Dolchstich durchs Herz. ›Mein Gott,‹ dachte er, ›was soll ich im Schloß?‹ Nur mit Beben vermochte er an die dort mögliche Begegnung zu denken. Dieser Gedanke verschlang alle anderen. Er überlegte sich, daß die einzige Rettung, die ihm verblieb, die sei, im Schloß als erster zu erscheinen, wenn gerade die Türen geöffnet wurden.
In der Tat ward der Name des Monsignore del Dongo bei dem großen Empfang an jenem Abend als einer der ersten gemeldet. Die Fürstin empfing ihn mit huldvollster Auszeichnung. Fabrizzios Augen hafteten auf der Standuhr, und als sie die zwanzigste Minute seiner Anwesenheit in ihrem Gemach verkündete, erhob er sich, um Abschied zu nehmen, gleichzeitig trat der
Weitere Kostenlose Bücher