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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Parkett verursacht hatte, saß die Marchesa Crescenzi. Beider Augen begegneten sich tränenschimmernd. Die Marchesa senkte den Kopf; Fabrizzios Blicke verweilten einige Sekunden aufihr. Er betrachtete ihr diamantengeschmücktes Haupt, und seine Augen nahmen einen Ausdruck von Zorn und Verachtung an. Dann flüsterte er vor sich hin: »Und nie sollen dich meine Augen wieder anschauen!« Er wandte sich von neuem dem Franziskanergeneral zu und sagte zu ihm: »Jetzt packt mich mein Übel heftiger denn je.« Tatsächlich weinte Fabrizzio länger als eine halbe Stunde heiße Tränen. Glücklicherweise kam ihm eine Mozartsche Sinfonie, greulich entstellt wie gewöhnlich in Italien, zustatten und half sie ihm trocknen.
    Er blieb standhaft und wandte seine Augen nicht mehr zur Marchesa Crescenzi. Aber Madame Pasta sang von neuem, und Fabrizzios durch die Tränen erleichterte Seele erreichte einen Zustand völligen Friedens. Nun erschien ihm das Leben in neuem Lichte. ›Bilde ich mir denn ein, sie gleich mit einem Male gänzlich vergessen zu können? Ist das auch nur möglich?‹ fragte er sich. Schließlich kam er auf folgenden Gedanken: ›Kann ich unglücklicher werden, als ich es seit zwei Monaten bin? Und wenn nichts meine Herzensqualen steigern kann, warum soll ich da dem Vergnügen widerstehen, sie anzusehen? Sie hat ihr Gelübde vergessen. Sie ist leichtsinnig. Sind das nicht alle Frauen? Aber keine macht ihr ihre himmlische Schönheit streitig. Sie hat einen Blick, der mich in Verzückung versetzt, während ich mir sonst Zwang antun muß, wenn ich Frauen anblicke, die für die allerschönsten gelten. Wohlan, warum soll ich mich nicht bezaubern lassen? Zum mindesten ist das ein Augenblick der Ruhe.‹
    Fabrizzio besaß etwas Menschenkenntnis, aber keinerlei Erfahrung in Herzensangelegenheiten, sonst hätte er sich gesagt, daß die flüchtige Freude, der er nachgab, alle Anstrengungen vereitelte, die er seit zwei Monaten gemacht hatte, um Clelia zu vergessen.
    Die Ärmste war zu diesem Fest nur gezwungen gekommen, weil ihr Gatte es wollte; sie hatte die Absicht, sich spätestens nach einer halben Stunde, angeblich aus Gesundheitsrücksichten, wieder zu entfernen; aber der Marcheseerklärte ihr, den Wagen vorfahren zu lassen, um wieder zu gehen, wo viele Wagen erst kämen, sei ganz und gar gegen die Hofsitte und könne leicht als abfällige Kritik an dem von der Fürstin veranstalteten Fest ausgelegt werden.
    »In meiner Eigenschaft als Kammerherr«, fügte der Marchese hinzu, »muß ich mich im Schloß den Befehlen der Fürstin zur Verfügung halten, bis alle Welt gegangen ist. Es könnten Anordnungen nötig werden; ja, zweifellos. Die Diener sind so nachlässig. Und wollen Sie, daß sich ein einfacher Kammerjunker diesen Ehrendienst anmaßt?«
    Clelia fügte sich. Noch hatte sie Fabrizzio nicht bemerkt; sie hoffte, er sei nicht zu diesem Fest erschienen. Aber als das Konzert beginnen sollte und die Fürstin das Zeichen gegeben hatte, daß sich die Damen setzten, ließ sich Clelia, die sehr wenig Sinn für dergleichen Dinge hatte, die besseren Plätze in der Nähe der Fürstin wegnehmen, so daß sie genötigt war, sich mit einem Sessel im hinteren Teile des Saales zu begnügen, just in der abgelegenen Ecke, wohin sich Fabrizzio geflüchtet hatte.
    Als sie auf ihren Stuhl zuschritt, fiel ihr die an solchem Ort sonderbare Tracht des Minoritengenerals in die Augen, und zunächst übersah sie den schmächtigen Mann im einfachen schwarzen Rock, der mit ihm im Gespräch war. Aber etwas Geheimnisvolles zog ihre Augen zu diesem Menschen. Alle Welt war hier in Uniform oder reich gestickter Gala. Wer mochte der junge Mann im schlichten schwarzen Rock sein? Sie beobachtete ihn mit reger Aufmerksamkeit, als eine Dame, die sich hinsetzte, ihren Lehnsessel geräuschvoll verschob. Fabrizzio wandte den Kopf. Clelia erkannte ihn nicht wieder, so hatte er sich verändert. Zunächst dachte sie: ›Er ist ihm sehr ähnlich. Vielleicht ist es sein älterer Bruder, aber der ist doch nur wenige Jahre älter als er, und das da ist ein Vierziger.‹ Mit einem Male erkannte sie ihn an einer Bewegung des Mundes.
    ›Der Unglückliche! Was mag er gelitten haben!‹ sagte sie sich und neigte das Haupt, vom Schmerz gebeugt, aber nicht, um ihrem Gelübde treu zu bleiben. Ihr Herz schmolz vor Mitleid dahin. Die neun Monate Kerker hatten bei weitem nicht so auf ihn eingewirkt. Sie blickte ihn nicht mehr an, aber ohne die Augen auf ihn hinzuwenden,

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