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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Fürst zu seiner Mutter in den Saal. Nachdem Fabrizzio ihm einige Augenblicke gewidmet hatte, steuerte er geschickt nach der Ausgangstür hin; doch da erreichte ihn einer jener kleinen Zufälle des Hoflebens, die die Duchezza so geschicktherbeizuführen verstand. Der diensttuende Kammerherr kam auf ihn zu und teilte ihm mit, Serenissimus habe ihn zum Whist befohlen. Das ist in Parma eine hohe Auszeichnung, weit über dem Rang, den der Koadjutor in der Hofgesellschaft einnahm. Zum Whist befohlen zu werden, war selbst für den Erzbischof eine ganz besondere Ehre. Die Mitteilung des Kammerherrn durchbohrte Fabrizzio das Herz, und sosehr er jedes öffentliche Aufsehen verabscheute, war er nahe daran, sich mit einem plötzlichen Unwohlsein zu entschuldigen, aber er bedachte, daß er damit das Opfer von Nachfragen und Kondolenzen würde, die noch viel unerträglicher waren als das Spiel. An jenem Abend war ihm das Sprechen zum Ekel.
    Zum Glück befand sich unter den vielen Gästen, die erschienen waren, um der Fürstinwitwe ihre Huldigung darzubringen, ein Minoritengeneral. Dieser sehr gelehrte Mönch, ein würdiger Schüler von Fontana und Duvoisin [Francesco Ludovico Fontana (1750-1822), ein italienischer, und Jean Baptiste Baron Duvoisin (1744-1813), ein französischer Prälat.] , hatte sich in einen Winkel des Saales verkrochen; Fabrizzio stellte sich so vor ihm auf, daß er die Eingangstür nicht sehen konnte, und begann ein theologisches Gespräch mit dem Franziskaner. Aber er konnte es nicht verhindern, daß die Namen des Marchese und der Marchesa Crescenzi, die eben angemeldet wurden, an seine Ohren drangen. Wider Erwarten empfand Fabrizzio eine starke Zornesregung.
    ›Wäre ich Borso Valserra,‹ sagte er sich (das war einer der Feldherren des ersten Sforza), ›so erdolchte ich diesen Tölpel von Marchese, und zwar mit dem kleinen Dolch mit Elfenbeingriff, den mir Clelia an jenem Glückstage gegeben hat. Er sollte mir die Unverschämtheit büßen, sich mit dieser Marchesa an einem Orte zu zeigen, wo ich bin!‹
    Seine Züge veränderten sich so sehr, daß der Minorit ihn fragte: »Fühlen sich Eccellenza unwohl?«
    »Ich habe tolle Kopfschmerzen, – das Licht macht mich krank. – Ich bleibe nur hier, weil mich Serenissimus zum Whist befohlen hat.«
    Dieser Umstand brachte den Minoriten, der bürgerlich war, derartig aus der Fassung, daß er nicht mehr wußte, was er tun solle, und sich Fabrizzio empfehlen wollte. Der aber war noch viel verlegener als der Minoritengeneral und entwickelte nun erst recht die sonderlichste Beredsamkeit. Er merkte, daß hinter ihm alles still wurde, aber er wollte sich nicht umsehen. Plötzlich ward mit einem Violinbogen auf ein Notenpult geklopft. Man spielte ein Ritornell, und die berühmte Madame Pasta [Über die Beziehungen, die Beyle zu dieser berühmten Sängerin hatte – sie ist geboren 1798, gestorben 1865 in ihrer eine Stunde nördlich von Como am Ostufer des Sees gelegenen Villa Pasta –, vergleiche die häufigen Erwähnungen in Stendhals ›Autobiographie‹; ferner George Sand: Histoire de ma vie V, 3. Ihr gilt auch das ganze 35. Kapitel in Stendhals ›Vie de Rossini‹ (1824).] stimmte jene damals allbekannte Arie Cimarosas an: ›Quelle pupille tenere‹.
    Bei den ersten Takten beherrschte sich Fabrizzio, aber bald verrauchte sein Zorn, und er fühlte das Bedürfnis, sich recht auszuweinen. ›Mein Gott,‹ sagte er sich, ›welch lächerliche Szene, noch dazu in meiner Tracht!‹ Er hielt es für klüger, von sich zu reden.
    »Wenn ich diesen fürchterlichen Kopfschmerzen Trotz biete wie heute abend,« sagte er zu dem Franziskanergeneral, »so machen sie sich in Tränenausbrüchen Luft, die einen Mann unseres Standes leicht ins Gerede bringen können. Ich bitte also Euer Hochwürden, mir zu gestatten, daß ich weine, indem ich Sie anblicke, und nicht weiter darauf zu achten.«
    »Unser Provinzial in Catanzara leidet an ganz demselben Übel«, meinte der Minorit und begann im Flüsterton eine endlose Geschichte über die Abendmahlzeiten des Provinzials, die Fabrizzio ein Lächeln abnötigte, was ihm seit langem nicht geschehen war. Aber bald hörte er dem Franziskaner nicht mehr zu. Madame Pasta sang mit ihrer göttlichen Stimme eine Arie von Pergolesi. (Die Fürstin liebte altmodische Musik.) Drei Schritt weit von Fabrizzio entstand ein leises Geräusch; zum ersten Male an diesem Abend sah sich Fabrizzio um. In dem Lehnstuhl, der dieses kleine Geräusch auf dem

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