Die Kartause von Parma
seinem Koadjutor fast alle Geschäfte überlassen.
Die Marchesa Crescenzi hatte unter der Last ihrer Selbstvorwürfe und unter dem Druck ihres Beichtvaters ein vortreffliches Mittel gefunden, sich Fabrizzios Blicken zu entziehen. Indem sie beginnende Mutterschaft vorschützte, lebte sie in ihrem eigenen Palazzo wie in einem Gefängnis. Aber dieser Palazzo hatte einen riesigen Garten. Fabrizzio fand Mittel und Wege, hineinzukommen, und legte in die Allee, die Clelia am liebsten hatte, Blumensträuße, deren einzelne Blumen derartig gewählt undgebunden waren, daß sie eine gewisse Sprache führten, ähnlich der, die sie einst in den letzten Tagen seiner Gefangenschaft in der Torre Farnese allabendlich angewandt hatte.
Die Marchesa war über diesen Versuch sehr erzürnt. Ihre Seele ward zwischen den Forderungen ihrer Reue und ihrer Leidenschaft hin und her gerissen. Mehrere Monate lang erlaubte sie sich nicht ein einziges Mal, den Garten ihres Hauses zu betreten; sie hatte sogar Bedenken, einen Blick auf ihn zu werfen.
Fabrizzio begann zu glauben, er habe Clelia für ewig verloren; er hegte keine Hoffnung mehr. Die Welt, in der er sein Leben verbrachte, mißfiel ihm bis zum Überdruß, und wenn er nicht tief überzeugt gewesen wäre, daß Graf Mosca ohne seinen Ministerposten keinen Seelenfrieden finden könne, so hätte er sich wie ein Einsiedler in sein kleines Zimmer im erzbischöflichen Palast eingeschlossen. Es wäre ihm süß gewesen, ganz seinen Gedanken zu leben und Menschenstimmen nur bei der Ausübung seiner Berufspflichten zu hören.
›Aber‹, sagte er sich, ›die Interessen des Grafen und der Gräfin Mosca kann nur ich allein vertreten.‹
Der Fürst behandelte ihn auch fernerhin mit einer Auszeichnung, die ihm am Hofe den höchsten Rang einräumte. Diese Gunst verdankte er zum größten Teil sich selbst. Fabrizzios äußerste Zurückhaltung entsprang aus einer bis zum Ekel gesteigerten Gleichgültigkeit gegen alle Launen und kleinen Gelüste, die das menschliche Leben ausmachen. Aber eben diese Zurückhaltung hatte die Eitelkeit des jungen Fürsten verletzt. Er pflegte zu sagen, Fabrizzio habe ebensoviel Geist wie seine Tante. Mit seiner lauteren Seele kam der Fürst halbwegs auf eine Wahrheit: daß er in seiner Nähe keinen Menschen mit ähnlicher Geistesverfassung wie Fabrizzio habe. Sogar dem Durchschnitt der Höflinge entging es nicht, daß das Ansehen, das Fabrizzio genoß, durchaus nicht das eines einfachen Koadjutors war, sondern selbst über die Achtunghinausging, die der Monarch dem Erzbischof bekundete. Fabrizzio schrieb dem Grafen: ›Wenn der Fürst je so viel Einsicht hat, zu merken, in welche Patsche die Minister Rassi, Fabio Conti, Zurla und andere Geister desselben Schlages den Regierungskarren gefahren haben, so werde ich die natürliche Mittelsperson sein, durch die er einen gewissen Schritt tun könnte, ohne seine Eigenliebe allzusehr bloßzustellen.‹
Der Gräfin Mosca schrieb Fabrizzio: ›Ohne die Erinnerung an das verhängnisvolle Wort ›dieses Kind‹, das ein genialer Mann auf eine erlauchte Persönlichkeit angewandt hat, hätte diese längst gerufen: ›Kommen Sie schnell wieder und verjagen Sie mir dieses Lumpenpack!‹ Wenn die Gemahlin des genialen Mannes auch nur im geringsten entgegenkommend wäre, riefe man den Grafen am liebsten gleich heute zurück; aber er wird noch glänzender empfangen werden, wenn er die Frucht reifen läßt. Im übrigen langweilt man sich tödlich im Hofstaate der Fürstinwitwe, wo man keine andere Zerstreuung hat als die Torheiten Rassis, der, seit er Graf ist, den Adelskoller bekommen hat. Man hat jüngst strenge Verfügungen erlassen, wonach fortan niemand, der nicht acht Ahnen nachzuweisen hat, es wagen darf, bei den Abendgesellschaften der Fürstin zu erscheinen. (So lautet der Ausdruck der Verfügung!) Nur wer schon das Recht hat, des Morgens die große Galerie zu betreten und anwesend zu sein, wenn der Fürst zur Messe geht, soll jenes Vorrecht weiter genießen. Jeder neu Hinzukommende jedoch hat sich der Ahnenprobe zu unterwerfen. Irgendwer hat den Witz gemacht, Rassi sei über jede Probe erhaben.‹
Selbstverständlich vertraute man dergleichen Briefe nicht der Post an. Die Gräfin Mosca antwortete aus Neapel: >Wir haben jeden Donnerstag Musikabend und alle Sonntage Conversazione. Unsere Salons sind zum Erdrücken voll. Der Graf ist für seine Ausgrabungen begeistert; er opfert ihnen monatlich tausend Franken und hat sich soeben
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