Die Kartause von Parma
Arbeiter aus den Abruzzen kommen lassen, dieihn nur dreiundzwanzig Soldi den Tag kosten. Du solltest uns einmal besuchen. Das ist mindestens das zwanzigste Mal, daß ich an Herrn Undankbar die Einladung dazu ergehen lasse.‹
Fabrizzio hütete sich, Folge zu leisten. Schon die Briefe, die er alle Tage an den Grafen oder die Gräfin schrieb, dünkten ihn eine fast unerträgliche Qual. Man wird ihm verzeihen, wenn man erfährt, daß sich so ein ganzes Jahr hinzog, ohne daß er mit der Marchesa Crescenzi auch nur ein einziges Wort sprechen konnte. Alle seine Versuche, mit ihr in irgendwelche Beziehungen zu treten, hatte sie mit Schaudern zurückgewiesen. Das gewohnheitsmäßige Schweigen, das Fabrizzio aus Lebensüberdruß überall wahrte, außer wenn er seinen geistlichen Beruf ausübte oder zu Hofe ging, hatte ihm im Verein mit der echten Lauterkeit seines Lebenswandels eine so außergewöhnliche Verehrung erworben, daß er sich endlich entschloß, den Ratschlägen seiner Tante zu gehorchen.
›Der Fürst hegt für Dich eine so große Vorliebe,‹ hatte sie ihm geschrieben, ›daß bald ein Umschwung zu erwarten ist. Er wird Dich mit Ungnade überschütten, und die Höflinge werden ihrem hohen Vorbild in rücksichtsloser Verachtung nicht nachstehen. Diese kleinen Tyrannen, so ehrsam sie sein mögen, sind wetterwendisch wie die Mode, und zwar aus dem gleichen Grunde: aus Langerweile. Es gibt keine andere Waffe gegen die Launen des Monarchen als Predigen! Du kannst so schöne Verse aus dem Stegreif dichten. Versuche es doch einmal, eine halbe Stunde über fromme Dinge zu sprechen! Im Anfang wirst Du Ketzereien sagen. Aber nimm Dir einen gelehrten und verschwiegenen Theologen, der sich Deine Predigten anhört und Dich auf Fehler aufmerksam macht; am nächsten Tage kannst Du sie verbessern.‹
Unglückliche Liebe macht dem, der sie erleidet, alles zu grausamer Pein, was Aufmerksamkeit und Betätigung erheischt. Aber Fabrizzio sagte sich, daß Volkstümlichkeitfalls er sie errang, einmal seiner Tante und dem Grafen nützen könne. Seine Verehrung für diese beiden Menschen wuchs von Tag zu Tag in dem Maße, wie sein Beruf ihn die Erbärmlichkeit der Menschen erkennen lehrte. Er entschloß sich zum Predigen, und der Erfolg, den er hatte, unterstützt durch seine Magerkeit und sein schlichtes Gewand, war beispiellos. Man fand in seinen Predigten den Duft der Schwermut, und das eroberte ihm, in Verbindung mit seinem reizenden Gesicht und der Kunde von der hohen Gunst, die er bei Hofe genoß, alle Frauenherzen. Es bildete sich die Legende, er sei einer der tapfersten Offiziere der Napoleonischen Armee gewesen. Sehr bald war das trotz allem Widersinn eine ausgemachte Sache. In den Kirchen, wo er predigte, belegte man vorher die Plätze; die Armen setzten sich bereits früh um fünf hinein, um damit Geld zu verdienen.
Fabrizzios Erfolg war derartig, daß ihm schließlich ein Gedanke kam, der alles in seiner Seele umwälzte; der Gedanke, die Marchesa Crescenzi könne eines Tages kommen, und sei es auch nur aus bloßer Neugier, um eine seiner Predigten anzuhören. Plötzlich bemerkten seine entzückten Zuhörer, daß sich seine Rednergabe verdoppelte. War er bewegt, verstieg er sich zu Bildern, vor deren Kühnheit die geschultesten Redner zurückgeschreckt wären. Bisweilen, wenn er sich vergaß, verlor er sich in Augenblicke leidenschaftlicher Erleuchtung, die seine ganze Zuhörerschaft zu Tränen rührte. Aber vergeblich suchte sein spähender Blick unter den vielen Gesichtern, die nach seiner Kanzel gewandt waren, eines, dessen Anwesenheit für ihn ein großes Erlebnis gewesen wäre.
›Aber wenn ich dieses Glück je haben sollte,‹ sagte er sich, ›dann werde ich entweder krank, oder ich bleibe stecken‹. Um für den letztgenannten unziemlichen Fall gerüstet zu sein, hatte er ein inniges, gefühlsstarkes Gebet verfaßt, das er immer auf seiner Kanzel zur Hand hatte, mit dem Vorsatz, es zu verlesen, falls ihn die Gegenwart der Marchesa der Sprache beraube.
Eines Tages erfuhr er durch einen von ihm bestochenen Dienstboten des Marchese, daß Befehl erteilt war, für den nächsten Tag die Loge der Casa Crescenzi im Schauspielhaus bereit zu halten. Seit einem Jahre war die Marchesa in keinem Theater erschienen. Ein Tenor, der stürmischen Beifall erntete und alle Abende ein volles Haus hatte, war die Ursache, daß sie mit ihrer Gewohnheit brach. Fabrizzio freute sich grenzenlos. ›Endlich kann ich sie wieder einen ganzen
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