Die Karte der Welt (German Edition)
zusätzlich schützen. Mit weiteren Ästen verstärkten sie die Kabine, in der der Rest der Gruppe Deckung suchen konnte, falls nötig.
Wex arbeitete gerade allein an der Kabine, als Mungo zu ihm kam. Der Riese bemühte sich, besonders deutlich zu sprechen, oder versuchte es zumindest, aber wie üblich verstand Wex ihn nicht.
»Noch mal«, sagte Wex.
Mungo versuchte es erneut, aber ebenso erfolglos wie beim ersten Mal.
Wex verdrehte die Augen. »Sprich langsamer. Und vielleicht würde es helfen, wenn du den Mund dabei ein bisschen aufmachst. Du nuschelst wie ein Trüffelschwein.«
Mungo setzte von neuem an, langsamer diesmal und mit fast schon übertriebenen Lippenbewegungen. Auch den Mund riss er ganz weit auf.
Aber Wex hörte gar nicht mehr zu. Stattdessen starrte er entsetzt in Mungos Rachen. Er streckte die Hand aus, um Mungos Mund noch weiter zu öffnen. Der Riese drehte abrupt den Kopf zur Seite, doch Wex ließ sich nicht beirren und drückte ganz behutsam die Kiefer auseinander. Schließlich ließ Mungo ihn gewähren.
»Dir wurde die Zunge herausgeschnitten«, sagte Wex.
Eigentlich war es nur die Hälfte. Das Messer war offensichtlich nicht lang genug gewesen, um die Zungenwurzel zu erreichen. Aber auch so taugte der rosafarbene, fleischige Stummel kaum zum Sprechen, wie sich jedes Mal aufs Neue an Mungos unverständlichem Gebrabbel zeigte.
Der Riese senkte beschämt den Blick.
Obrigkeitsbeleidigung und Gotteslästerung wurden manchmal mit dem Herausschneiden der Zunge bestraft, aber Wex konnte sich Mungo nur schlecht als Anhänger der Scinta oder gar der Felis vorstellen. Pinch hatte gesagt, er hätte Mungo im Alter von dreizehn Jahren in der Großen Küstenstadt aufgelesen, und er habe schon damals nicht richtig sprechen können. Wex wurde neugierig. Wie konnte ein Junge in dem Alter bereits die Zunge verloren haben? Aber Mungo schien nicht besonders erpicht darauf, das Thema weiter zu vertiefen, also versuchte Wex es erst gar nicht.
»Ich würde wirklich gern wissen, was du mir sagen willst.«
Statt noch einmal den Mund zu öffnen, versuchte Mungo es nun mit einer Pantomime. Er legte zwei Finger an den Kopf und streckte sie wie Hörner in die Luft.
»Arkh?«, riet Wex.
Mungo schüttelte den Kopf und machte ein Geräusch, das wie das Meckern einer Ziege klang.
»Eine Ziege?«
Mungo brach ein Stück Holz von den verkohlten Planken ab und zeichnete damit einen großen, muskulösen Vierbeiner aufs Deck. Die Zeichnung war grob, aber halbwegs erkennbar.
»Ein Stier?«
Mungo nickte und zeichnete noch einen.
»Eine ganze Herde? Die Rinderherde, die uns und die Düsterlinge angegriffen hat?«
Wieder nickte Mungo und krempelte den Ärmel seines verdreckten Hemds hoch. Über den muskulösen Unterarm verliefen in zwei gepunkteten Reihen die Abdrücke einer frischen Bisswunde.
Wex betrachtete sie und rätselte, wie Mungo sie sich zugezogen haben mochte.
Der Riese half ihm auf die Sprünge, indem er auf die Zeichnung an Deck deutete.
»Du wurdest gebissen.«
Mungo nickte.
Wex überlegte. Bei ihrer Begegnung mit den fleischfressenden Kühen war Mungo nicht gebissen worden, und außerdem war die Wunde frisch, vielleicht erst einen Tag alt. Es gab nur eine Möglichkeit: Pinch und Mungo waren den Rindern tatsächlich ein zweites Mal begegnet. Vielleicht hatten sie die gefräßigen Vierbeiner ja wirklich auf die Fährte der Düsterlinge gesetzt. Er blickte Mungo fest in die Augen.
»Stimmt Pinchs Geschichte also?«
Wieder nickte Mungo.
Wex legte Mungo eine Hand auf die Schulter. »Danke«, sagte er aus tiefstem Herzen.
Nach nicht einmal zwei Stunden waren die Reparaturarbeiten abgeschlossen. Sie waren nicht besonders schön geworden, und Adara schien wenig beeindruckt von der mangelhaften handwerklichen Ausführung, aber es würde genügen, meinte sie, und die Expeditionsmitglieder gingen an Bord.
Rudern war schwieriger, als es aussah. Aus diesem Grund mussten sie sich auch zu viert mit dem abmühen, was drei Flussmenschen mit Leichtigkeit erledigt hätten. Zwei für den Vortrieb, zwei fürs Steuern. Adara stand an einem der beiden Steuerruder, und wer auch immer sich ans andere stellte, musste heftige Tiraden von ihr über sich ergehen lassen. Lediglich Brynn blieb verschont. Als sie das zweite Ruder übernahm, schienen die beiden Frauen schnell einen gemeinsamen Rhythmus zu finden, und obwohl Brynn nicht lange durchhielt und bald wieder von einem Mann ersetzt werden musste, war die Zeit, die
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