Die Karte der Welt (German Edition)
sie mit Adara am Heck der Barke absolvierte, die ruhigste und angenehmste für alle Beteiligten.
Die erste Stunde war die schwierigste. Jedes Expeditionsmitglied versuchte es mit jeder Position – an einem der Antriebsruder oder neben Adara am Steuer –, aber ein jeder war schnell erschöpft und musste bald abgelöst werden. Nur Adara nicht. Wex glaubte, zwei spezielle Muskeln unter der straffen Haut ihrer Arme spielen zu sehen, die niemand sonst zu haben schien. Soweit er erkennen konnte, bestand die Kunst, den Walther flussaufwärts zu befahren, darin, jedes noch so kleine Wellental auszunutzen und jede wenn auch nur um einen Hauch langsamere Strömung. Der Versuch, die Barke stur mit möglichst kräftigen Ruderschlägen gegen die Strömung zu peitschen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Mungo war besonders anfällig für diese kraftbetonte Methode, weshalb ihm das Steuerruder schnell entzogen und er ausschließlich zum Vortrieberzeugen abkommandiert wurde. Als Wex neben Adara das Steuer übernahm, wurde er nur verhältnismäßig selten abgekanzelt, und das erstaunlich milde, woraus er schloss, dass er nach Brynn den zweitbesten Steuermann abgab.
Die Feinheiten in der Strömung zu erkennen war nicht leicht, aber allmählich begann Wex zu spüren, wie sie die Barke mal hierhin, mal dorthin zog. Der Walther war ein schnelles und keinesfalls ebenmäßig dahinfließendes Gewässer. Er hatte Temperament, hatte seine Launen, harte Kanten und weiche Stellen. Wenn man die Riemen geschickt einsetzte, war es, als würde man einer Katze den Nacken kraulen, und so wie eine Katze dann schnurrte, belohnte der Fluss den Ruderer mit verhältnismäßig sanftem und schnellem Vorankommen. Es war abwechselnd frustrierend und entspannend, manchmal sogar berauschend, und der Ausblick auf den majestätischen Fluss war eine Erfahrung, die Wex noch nie zuvor gemacht hatte. Spiegelglatte Stellen, raue Wirbel und sprudelnde Strömungen vermischten sich zu einem blaugrünen Gobelin, gewoben aus Wasser, und Wex schwor sich, er würde wiederkommen und den Walther zeichnen, sobald er geeignetes Gerät und vor allem die nötige Zeit dazu hatte.
Lärm auf dem Vordeck riss ihn aus seinen Gedanken.
»Ahoi!«, schrie Pinch.
»Heho!«, ertönte gleich darauf Fretters Ruf.
Adara ließ das Ruder los und rannte zum Bug, und alle anderen folgten ihr.
Eine Gestalt war in den Fluss gesprungen und schwamm ihnen entgegen. Offensichtlich kein Düsterling , dachte Wex und erkannte zu seiner großen Freude, dass es sich um Bello handelte, ihren Fährmann. Unter Jubelschreien holten sie ihn an Bord.
Adara umarmte Bello ausgiebig und krönte die Begrüßung mit einem Kuss auf den Mund.
Wex schaute aus dem Augenwinkel zu Brynn hinüber, die nur süffisant die Achseln zuckte.
Die beiden Flussmenschen stürzten sich sofort in ein intensives Gespräch und redeten dabei so schnell, dass nicht einmal Brynn, Kraven oder Pinch sie verstanden. Adara schien Bello zu schildern, was im Lauf der letzten Tage geschehen war, und als Fretter sie schließlich bat, doch etwas langsamer zu sprechen, erfuhren sie, dass Bello den Überfall nur überlebt hatte, weil er auf der Barke geschlafen hatte. Als die Düsterlinge die Boote zerstörten, war er einfach ins Wasser gesprungen, wie die Flussmenschen es bei Düsterlingangriffen immer taten. Ungesehen war er ans andere Ufer getaucht und hatte dort gewartet, nicht ahnend, dass diesmal alles anders kommen würde. Als er zurückkehrte, hatte er das Lager verwüstet vorgefunden und eingesammelt, was die Düsterlinge nicht mitgenommen hatten. Bello und Adara beweinten die Toten und umarmten sich noch einmal innig – weit länger, als Wex lieb war.
»Wir müssen weiter«, sagte Fretter schließlich und tippte Adara auf die Schulter.
Bello beschwor Adara, mit ihm die Kinder zu holen. Er erklärte, dass es für die beiden ein Leichtes wäre, die Düsterlinge zu umgehen, solange sie sich nur an den Fluss hielten.
Wex war bestürzt. »Wir brauchen auf der Barke eure Hilfe!«, rief er dazwischen.
Das war ein guter Punkt. Bello war einer der besten Ruderer seiner Sippe gewesen. Mit ihm und Adara würde die Reise auf dem Walther viel schneller gehen. Fretter war derselben Meinung.
»In Ordnung. Ich komme mit«, sagte Bello schließlich. Er war tagelang allein unterwegs gewesen, hatte schon geglaubt, er wäre der einzige Überlebende, und sehnte er sich nach Gesellschaft.
»Wir werden euch bis zum Oberlauf des Walther
Weitere Kostenlose Bücher