Die Karte der Welt (German Edition)
Gefangenschaft in dem winzigen Verschlag, und anfangs mussten sie gestützt werden, um überhaupt stehen zu können.
»Was ist mit den anderen?«, fragte Wex.
»Wir nehmen sie mit«, antwortete Lothario. »Der eine könnte noch wichtig werden. Sein Name ist Petrich.«
Humpelnd schleppten die Befreiten sich aus dem Dorf und kamen mit jedem Schritt besser zu Kräften. Viele unbeantwortete Fragen schwebten in der Luft, aber die mussten erst einmal warten, bis sie in Sicherheit waren. Als sie sich oben auf dem Kamm mit dem Rest der Gruppe vereinten, empfingen die anderen sie mit offen stehenden Mündern.
Wex schaute hinunter in den Krater. Wegen der Palmen konnte er nicht erkennen, was sich unterhalb der Eidechsenwand zutrug, hörte nur hier und da einen Aufschrei oder ein Knurren, das durch den Palmenwald hallte. Es war unmöglich zu sagen, wer gewinnen würde, aber der größte Teil des Scharmützels schien bereits vorüber, denn das war nicht mehr das Gebrüll einer offenen Feldschlacht, sondern der gedämpfte Lärm einzelner Kämpfe zwischen den Bäumen.
Der Schnee jenseits des Kraters könnte ungemütlich werden. Die Kleider, die sie trugen, waren denkbar ungeeignet. Die geheimnisvollen neuen Reisebegleiter waren mit ihren Pelzumhängen am besten gerüstet. Langsam durch den Schnee zu stapfen war jedoch eine willkommene Abwechslung dazu, ständig um sein Leben rennen zu müssen. Außerdem hatte das frühlingshafte Tauwetter der letzten Woche die Schneegrenze noch weiter zurückgedrängt, und bergab würden sie ohnehin schneller vorankommen als beim Aufstieg. Die Gefahr, sich Frostbeulen zu holen, war also gering.
Sobald sie die Riesenkiefern erreicht hatten, zwischen denen kein Schnee mehr lag, begannen sie nach Essbarem zu suchen. Die letzte Mahlzeit hatten sie zu sich genommen, nachdem Bello und Adara an einer seichten Stelle im Walther ein paar Fische für sie gefangen hatten, die sie roh verschlangen. Wex hatte seinen irgendwie hinuntergewürgt, Spärling hatte sich übergeben.
»Esst zuerst und erzählt dann«, befahl Lothario. »Was Petrich zu sagen hat, wird euch genauso interessieren, wie mich eure Geschichte interessiert.«
Unterwegs sammelten sie Beeren und wildwachsende Kräuter, und Spragg erlegte einen Dachs, der grauenhaft schmeckte, aber zumindest für jeden einen Mundvoll hergab. Wex musste daran denken, wie die anderen vor dem Aufstieg auf diesen Berg sein Ferkel verspeist hatten.
Die Nacht würde bald hereinbrechen, und sie suchten sich ein geschütztes Plätzchen für ein Feuer. Die Felsen und umstehenden Bäume würden die Flammen vor neugierigen Blicken verbergen, und da der Mond noch nicht aufgegangen war, würde auch der Rauch am dunklen Himmel kaum zu sehen sein.
Lothario wollte zuerst ihre Geschichte hören, also begann Fretter zu erzählen. Schon bald jedoch hatte Pinch den Bericht so oft mit Kommentaren unterbrochen, dass eigentlich nur noch er erzählte, und das tat er so mitreißend und begeistert, dass niemand protestierte. Er berichtete von den Eidechsen und wie Kraven sie alle in der Höhle gerettet hatte. Dann davon, wie er, Mungo und Brynn die ganze Gruppe in den Wald gescheucht hatten, um den Schimmelbrüdern zu entkommen. Die Schilderung der fröhlichen Flussmenschen und ihres blühenden Lagerlebens trug zur allgemeinen Erheiterung bei und erklärte gleichzeitig die Anwesenheit von Bello und Adara, die sich immerhin Wex’ Boot ausgesucht hatte, wie Pinch nicht zu erwähnen vergaß. Einfühlsam achtete er darauf, mit seiner Huldigung an das Leben auf dem Walther nicht mehr Salz in Bellos und Adaras Wunden zu streuen als unbedingt nötig. Schließlich berichtete er, wie Poppy ums Leben gekommen war, und schilderte in allen Details die Wildheit der »Rinderteufel«, die ihn getötet hatten. Jetzt war Lothario an der Reihe zu trauern – der Barthunier war über drei Jahre sein Koch gewesen.
»Dass er inmitten einer Viehherde das Leben gelassen hat, scheint mir irgendwie passend«, bemerkte Lothario und verstummte dann wieder, um Pinch weitererzählen zu lassen.
Pinch berichtete von Verda und witzelte, Wex hätte einen Drachen aus seinem Heimatbaum verscheucht. Dann erklärte er, wie Kraven einen schwarzen Riesen aus dem Schleier heraufbeschworen hatte, und Wex fiel auf, dass Petrich diese beiden Episoden mindestens genauso zu interessieren schienen wie Lothario, wenn nicht sogar noch mehr. Der Rest der Erzählung drehte sich um die Düsterlinge. Lothario hatte noch
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