Die Karte der Welt (German Edition)
vorn in den Schnee. Ihm war schwindlig und mit einem Mal furchtbar kalt. Er sah ein schwaches Flackern und kroch darauf zu. Es kam von der Fackel: Sie lag zwischen zwei Felsen auf dem Boden, brannte aber noch. Wex packte sie und streckte sie hoch über den Kopf.
Der Hang lag in ein gelbliches Schimmern getaucht, gerade hell genug, dass Alver und Spärling die beiden Männer sehen konnten, die ihnen auflauerten. Flüsternd lösten sich ihre Schwerter aus den Scheiden.
»Verrat!«, rief Spärling.
In der Stimme des sonst so zaghaften Soldaten lag keine Furcht, nur Zorn und Entschlossenheit.
Unter lautem Fluchen stürzten die vier sich aufeinander. Klingen zerteilten die Nacht und besudelten den Schnee mit roten Spritzern. Die Schatten, am abschüssigen Hang vom Schein der Fackel bizarr vergrößert, tanzten in einem zuckenden Wirbel des Todes.
Hinter Wex hatte Kraven Petrich zu Boden gerungen. Sein Zauberer-Freund hielt mit der einen Hand Petrichs Messerarm gepackt, die andere hatte er in den Hals seines Gegners gekrallt, während Petrich seinerseits mit aller Kraft auf Kravens Kehlkopf drückte. Eine Pattsituation, die nur zugunsten dessen ausgehen konnte, der das Messer hatte. Aber Wex wagte nicht, Kraven zu Hilfe zu eilen, aus Angst, Spärling und Alver könnten ohne das Licht der Fackel ihren Angreifern unterliegen.
Nur wenige Augenblicke später erlöste Spärling Wex aus dem Dilemma. Sein Schwert surrte durch die kalte Nachtluft, fuhr durch Fleisch und Schädelknochen, und eine Fontäne weißer Splitter und roter Flüssigkeit schoss aus dem Gesicht seines Gegners, der zu Boden stürzte, ohne sich ein weiteres Mal zu bewegen.
Alver hatte seinem Kontrahenten eine hässliche klaffende Wunde am Oberschenkel beigebracht. Schwer atmend kniete er auf dem gesunden Bein. Wie einen Talisman, der alles Böse von ihm fernhalten würde, reckte er Alver sein Messer entgegen, der auf ihn zukam, um den Kampf zu beenden. Das viel schwerere Schwert fegte die Klinge beiseite und bohrte sich mit einem hörbaren Knacken in den Brustkorb des Mannes. Rippen barsten, und er starb. Langsamer zwar als sein Kumpan, aber nicht viel.
Wex wirbelte herum und rannte zu Kraven, der keuchend im Schnee kauerte. Neben ihm hockte reglos Petrich, als hätten die beiden Männer ihre Zwistigkeiten beigelegt und beschlossen, nun friedlich beieinanderzusitzen und sich zu unterhalten. Wex packte Kraven an den Schultern.
Der Zauberer konnte kaum atmen. Völlig erschöpft vom Kampf röchelte er, als würde er jeden Moment das Bewusstsein verlieren.
Doch Wex konnte keine Wunden entdecken, und die Lunge schien intakt zu sein. Vorsichtig drehte er sich zu Petrich um.
Stumm hockte der Mann da, den Blick starr geradeaus ins Leere gerichtet.
Wex stand auf und hielt die Fackel vor sich für den Fall, dass der alte Mann plötzlich aufsprang. Er tat es nicht. Wex ging noch näher heran. Von der Stelle aufwärts, wo Kraven ihn an der Kehle gepackt hatte, schien Petrichs Gesicht ohne jede Farbe zu sein. Als er genauer hinsah, konnte Wex jedoch erkennen, dass es nicht farblos, sondern vielmehr blau war. Von den Schlüsselbeinen bis hinauf zum Scheitel.
Petrich rührte sich immer noch nicht. Die Augen waren offen, weit aufgerissen sogar, doch offensichtlich blind. Ohne etwas zu sehen, blickten sie hinaus in den Schnee.
Kraven war unbewaffnet gewesen, also suchte Wex erst gar nicht nach offenen Verletzungen. Falls Petrich sich in dem Handgemenge das Genick gebrochen hätte, hätte sein Kopf schlaff herabhängen müssen, aber das tat er nicht. Anscheinend hatte Kraven ihn erwürgt, und das mit nur einer Hand. Keine schlechte Leistung für den überkandidelten Zauberer.
Wex schaute Kraven an. »Was ist passiert?«, fragte er.
Kraven rang immer noch um Atem. Unter Mühen blähte er den Brustkorb, bis er gerade genug Luft für eine knappe Antwort hatte. »Hab … ihn … kalt gemacht«, hechelte er kaum hörbar.
Wex legte Petrich eine Hand auf die Stirn. Die Haut fühlte sich kühl an. Nein, mehr als das, kalt wie Eis war sie. Und obwohl Petrich erst wenige Augenblicke tot sein konnte, hart wie Stein.
Wex schnappte nach Luft. Petrichs gesamter Kopf war zu einem einzigen Eisklumpen gefroren.
60
Alver holte die anderen, damit sie die Leichen zum Lagerplatz bringen konnten. Als sie dort ankamen, waren bereits alle wach. Wex erklärte, was vorgefallen war, während Kraven sich erholte, und obwohl er sich selbst noch nicht im Klaren über die Rolle des
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