Die Karte der Welt (German Edition)
Zauberers war, erzählte er die Geschichte so, als hätte Kraven Verdacht geschöpft und nur vorgegeben, mit Petrich gemeinsame Sache zu machen, um sein Komplott durchkreuzen zu können. Das war zumindest die halbe Wahrheit. Hoffte er jedenfalls. Immerhin hatte Kraven zugestimmt, den Schleier zurückzuholen. Erst als er erfuhr, dass Wex dafür mit dem Leben bezahlen würde, hatte er es sich anders überlegt. Dass Kraven Petrichs Kopf zu Eis gefroren hatte, ließ Wex ganz weg.
Mit viel Schulterklopfen wurden Spärling und Alver von der nächsten Wache abgelöst. Wex war beeindruckt, wie gut Spärling mit dem Schwert umgehen konnte. Er hätte nicht gedacht, dass der schmächtige Soldat in einem Kampf lange bestehen würde. Obendrein war er bisher jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen, doch wenn er sich einmal dazu entschied, war Spärling ein ernst zu nehmender Gegner. Petrichs Handlanger hatten keine Chance gehabt, nachdem Wex die beiden Soldaten gewarnt hatte. Die läppischen Dolche und der Mangel an Übung hatten ihr Schicksal besiegelt, und jetzt lagen ihre Leichen am Rand des Lagerplatzes.
Lothario fluchte über seine eigene Dummheit, weil er ihnen vertraut hatte. Tagelang war er mit ihnen in der erbärmlichen Gefängnishütte der Aussätzigen eingepfercht gewesen. Sie waren Landsleute aus Abrogan, wenn auch aus der längst vergangenen Zeit der Besiedlung. Als solchen hatte er ihnen den gebührenden Respekt entgegengebracht, wie er erklärte, und nichts von ihren finsteren Plänen geahnt. Wex war erleichtert zu hören, dass der Hauptmann Wex’ Tötung wahrscheinlich nicht zugestimmt hätte.
Spragg und dessen Bruder übernahmen die nächste Wache. Der Rest der Gruppe versuchte, noch ein wenig zu schlafen. Als alle sich wieder hingelegt hatten, rief Kraven Wex zu sich. Das Gesicht des Magiers war von tiefen Falten durchzogen und sah immer noch erschöpft aus. Schwankend saß er da, als wäre er einer Ohnmacht nahe. Petrichs Kopf einzufrieren hatte ihn ungemein viel Kraft gekostet, und er musste sich mit aller Macht zusammenreißen, um überhaupt sprechen zu können.
»Es tut mir leid, Wexford«, flüsterte er, »dass ich dich in all das mit hineingezogen habe.«
»Ihr braucht Euch nicht die Schuld dafür zu geben«, versuchte Wex ihn zu beruhigen. »Es war meine freie Entscheidung, nachdem der andere Kartenzeichner krank geworden war.«
»Ich bin derjenige, der für seine Krankheit verantwortlich ist.«
Wex blinzelte. »Was?«
Kraven drehte den Kopf von links nach rechts, um sicherzugehen, dass niemand sie belauschte. »Ich habe ihn nachts im Zelt kalt werden lassen, bis er unter seiner Decke gezittert hat.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht, wovon Ihr redet.«
»Als ich deine Zeichnungen gesehen und der Wirt in Furtheim mir gesagt hatte, dass du ein Bauernjunge aus dem Norden bist, habe ich den ursprünglichen Kartographen aus dem Verkehr gezogen, damit Lothario dich anheuern würde.« Er schwieg kurz, um die Worte wirken zu lassen. »Ich habe gesehen, was zu vollbringen du imstande bist, Wexford. Und ich ahnte, was dein Blut vermag. Deshalb habe ich dich ausgesucht.«
»Ihr wusstet, dass ich den Schleier verrücken kann?«
»Aber nein. Ich wusste lediglich, dass etwas Magisches in dir schlummert. So wie in uns allen. Wir stehen in Verbindung mit der Welt um uns herum. Wir sehen, hören, fühlen und schmecken sie, und sie reagiert auf uns. Doch sind wir dafür unterschiedlich empfänglich. Ich für meinen Teil spüre Kälte stärker als andere, und, etwas weniger stark, auch Hitze. Sie reagieren auf mich. Ich kann Kälte aufspüren und sie bündeln. Der junge Winster ist ein weiteres Beispiel. Er sieht Dinge, die andere nicht sehen können. Er spürt der Welt mit den Augen nach, und sie reagiert auf ihn, indem sie ihm mehr enthüllt als anderen. Natürlich strengt er sich an, aber die Welt hilft ihm und zeigt ihm die Dinge, die er sieht. Es ist ein Wechselspiel, das in beide Richtungen funktioniert. Jeder Mensch hat eine mehr oder weniger intensive Verbindung mit der Welt, bei jedem fällt sie anders aus, aber bei dir, Wexford, in deiner Arbeit ist sie so deutlich zu erkennen, dass ich zugreifen musste. Nie hätte ich geglaubt, was daraus entstehen würde.«
»Aber Ihr … Ihr habt Petrichs Schädel gefroren.«
»Ich war wütend.«
»Ihr habt die Kälte des Schnees dafür verwendet?«
»Ja, ich manipulierte sie. Ich bin nicht die jämmerliche Witzfigur, die zu sein ich vorgebe, Wexford«,
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