Die Karte der Welt (German Edition)
war beeindruckt von den Düsterlingen, wenn auch mit ein paar Einschränkungen. Sie waren nicht besonders intelligent – was jedoch auch seine Vorteile hatte –, und sie brauchten beträchtliche Mengen Nahrung, hauptsächlich Fleisch. Das bedeutete, dass sie viel Zeit auf Jagen und Fallenstellen verwenden mussten. Fisch, der in dem großen Fluss, der vom Berg herunterkam, leicht verfügbar gewesen wäre, aßen sie nicht. Sie rümpften nur die Nase über den Geruch.
Vor allem interessant war die Tatsache, dass es weiter flussabwärts noch mehr von ihnen gab, und damit mehr potenzielle Soldaten. Soweit es aus der Meute, über die Vill befehligte, herauszubekommen war, waren es hunderte oder vielleicht sogar tausende. Doch unglücklicherweise lag ihr Land nach wie vor unter dem Schleier; nur Vills umherstreunender Trupp war von ihm freigegeben worden, während der Großteil ihres Volkes immer noch unter seinem dunklen Bann stand. Auch der Weg flussabwärts war von der schwarzen Wand abgeschnitten, die Vill ungezählte Jahre gefangen gehalten hatte, und er schwor, sich nie wieder auch nur in die Nähe dieses Gefängnisses für Körper und Seele zu begeben.
Nach dem, was er bisher hatte herausfinden können, lebten auch Menschen an dem Fluss. Sie nannten den Fluss einfach »Walther« und nutzten ihn, um Handel zu treiben. Seine Düsterlinge schienen eine starke Abneigung sowohl gegen den Fluss als auch die darauf lebenden Menschen zu hegen. Anscheinend schmeckten sie gut, waren aber schwer zu fangen, weil die Düsterlinge Wasser hassten, die Flussmenschen ständig ihr Lager verlegten und bei jedem Anzeichen von Gefahr in ihre Boote flohen. Nur ein paar von ihnen hatten sie im Lauf der Jahre in den Wäldern überraschen können, und die hatten ihnen mit Händen, Füßen und den Werkzeugen, die sie gerade dabeigehabt hatten, einen harten Kampf geliefert und den Jägern beträchtliche Verletzungen beigebracht, bevor sie überwältigt werden konnten. Wild hingegen hatte keine Werkzeuge und wusste sich auch nicht so geschickt zur Wehr zu setzen.
Es war jedoch nicht das Fleisch der Flussbewohner, das Vill interessierte – sie hatten Boote, und es wäre gut für seine Düsterlinge, wenn sie ihre Angst vor dem Wasser überwinden würden, und, noch wichtiger, sie mussten Erfahrung im Kampf gegen Menschen sammeln, bevor er sie gegen Krysts Truppen ins Feld führen konnte, die mit Schwert und Rüstung kämpften. Dafür war es am besten, wenn er zunächst ein Volk angriff, das leicht zu besiegen war, denn er wollte nicht schon während der Ausbildung Soldaten verlieren. Als er hörte, dass das Wasservolk keine Waffen hatte, ließ er sich von seinen Gefolgsleuten umgehend zum Fluss führen.
18
Die Barke des Dido übertraf alles, was Wex bisher gesehen hatte. Sie war mindestens fünfzehn Meter lang, hatte eine geschlossene Kabine und wurde von zwei großen Riemen angetrieben, an denen ebenso große Männer standen. Schimmernd glitt sie im Licht der gelben Sonne dahin, und die harzversiegelte Oberfläche glitzerte wie Myriaden winziger Sterne. Das seidene Banner in der Brise flatternd bewegte sie sich majestätisch flussaufwärts wie eine Fürstenkutsche. Alles an ihr schrie »Handel!«, überlegte Wex. Sie war ihr Herold, ihr Symbol, Zentrum ihres Tauschwesens. Rechteckig in der Silhouette mit elegant geschwungenen Linien dazwischen, erschien sie Wex wie ein Wunder der Schiffsbaukunst, und er konnte kaum ermessen, wie lange die Flussmenschen mit den einfachen Werkzeugen, die er im Lager gesehen hatte, wohl zu ihrem Bau gebraucht hatten.
Unterdessen hatte sich die gesamte Sippe am Flussufer versammelt. Drei groß gewachsene Kerle standen auf dem Deck der Barke, die Muskeln gebläht von der anstrengenden Arbeit. Der größte von ihnen bediente das gigantische Steuerruder. Mit traumwandlerischer Sicherheit manövrierte er das Schiff um Hindernisse und Strudel und nutzte geschickt jedes Kehrwasser. Das Deck bot Platz für eine beträchtliche Anzahl Passagiere, während der Dido sich wahrscheinlich zumeist in der geräumigen Kabine aufhielt.
Blu hatte Wex und die anderen angewiesen, sich in einer Gruppe aufzustellen, um den Dido zu begrüßen, und Fretter hatte Mungo gebeten, eine Hand auf Arkhs Schulter zu legen, als Zeichen, dass der Halbmensch keine Gefahr war. Mungo hatte verstanden, und Arkh hatte es erlaubt. Außerdem hatte er zur Vorsicht ein buntes Tuch um seine Hörner gewickelt.
Wex fiel auf, wie angespannt Blu war.
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