Die Karte der Welt (German Edition)
der bedauernswerte Zustand jetzt schon mehrere Tage anhält. Seltsam, wenn du mich fragst.« Die Kreatur reckte erneut den Hals. »Dort drüben lungert sie herum, an der Hügelflanke, nur einen kurzen Flug von hier entfernt.«
Wex folgte der Blickrichtung des Geschöpfs. Der Schleier begann gleich auf der gegenüberliegenden Seite des Tals. Weiter hatte Wex nicht gezeichnet.
»Eine weise Entscheidung, dich vom Schleier fernzuhalten«, erklärte Wex. »Auch wenn die Sonne ihn niemals verscheuchen wird.«
»Du weißt etwas über diese Dunkelheit?« Der Kopf des Ungeheuers schwang herum und starrte Wex direkt in die Augen.
»Ich weiß, dass sie seit mehreren Jahrhunderten existiert, vielleicht noch länger.«
»Nein. Ausgeschlossen! Seit ich lebe, fliege ich kreuz und quer durch die Welt, und erst vor wenigen Tagen habe ich sie entdeckt.«
Wex versuchte, sein Gegenüber einzuschätzen. Das Geschöpf war zweifellos intelligent, außerdem weitgereist und ziemlich alt, so groß wie es war. Wex fragte sich, ob der Drache vor den Zeiten des Schleiers hierher in die Zornberge gekommen war, falls es überhaupt ein Vor-dem-Schleier gab. Zumindest wusste er offensichtlich eine Menge über die Lande hinter dem Schleier. Er kannte die Flussmenschen, die Aussätzigen und die Düsterlinge. Ein kleiner Informationsaustausch konnte für beide Seiten von Vorteil sein, und Wex überlegte, wie viel er preisgeben sollte. Wenn er von dem Geheimnis der Karte erzählte, wären Fretter und Kraven bestimmt wütend auf ihn. Andererseits standen Fretter und Kraven auch nicht hier und unterhielten sich mit einem Ungeheuer, das so groß war wie eine Viehweide. Stattdessen hatten sie ihn vorgeschickt.
»Ich glaube, dass du viele, viele Jahre lang selbst in dem schwarzen Schleier gefangen warst«, sagte Wex schließlich. »Wir haben dich befreit.«
Das Ungeheuer blieb eine Weile stumm, und Wex konnte deutlich erkennen, wie es nachdachte.
»Also kann mein Horst im Süden auch von der Dunkelheit befreit werden?«, fragte der Drache dann. »Ich habe jede Menge Schätze dort. Einige von meinen Lieblingskostbarkeiten! Könnt ihr sie zurückholen?«
»Vielleicht, aber die Lage ist kompliziert. Wir könnten einen Handel abschließen, einen, der unter anderem beinhaltet, dass du mich nicht fressen darfst. Und auch nicht meine Freunde.«
»Ah, meine Schätze.« Der Drache räkelte sich vor freudiger Erwartung.
»Welche Art von Schätzen?«
Die Augen des Ungeheuers wurden schmal, sein Blick argwöhnisch. Misstrauisch spähte es in das chaotische Nest.
»Noch mehr Steine und verrottende Tierhäute?«, riet Wex.
Das Wesen schaute ihn verärgert an und vielleicht auch ein bisschen gekränkt. »Diese Steine sind die einzigen von ihrer Art, die ich in meiner mehrere Jahrhunderte währenden Lebensspanne finden konnte. Lebst du auch schon so lange?«
»Jeder Stein ist einzigartig«, merkte Wex an.
»Ich kann sie doch nicht alle sammeln«, grummelte der Drache. »Wie soll das denn gehen?« Nachdenklich neigte er das Haupt. »Nein, ausgeschlossen. Sie würden nie und nimmer alle in meinen Horst passen. Und diese verrottenden Tierhäute, wie du es nennst, stammen von den prachtvollsten Geschöpfen, die …«
»Dein Nest ist ein einziger Haufen Müll«, erklärte Wex. »Du hamsterst. Du bist ein Hamster und nichts anderes.«
»Bin ich nicht. Ich bin Verda! Das ist mein Name, und Verda ist, was ich bin!« Empört bäumte sich das Geschöpf auf.
»Ganz ruhig …«, beschwichtigte Wex. »Was ich sagen wollte, ist, dass wir an deinen Schätzen nicht interessiert sind.«
»Gut, denn jeder, der sich zu sehr dafür interessiert, bekommt meine Zähne und Klauen zu spüren.«
»Verstanden. Ich werde die Sache mit meinem Hauptmann besprechen und sehen, ob sich etwas arrangieren lässt. Du bekommst deinen Horst im Süden zurück, wir erhalten sicheres Geleit durch dieses Tal, und du lässt uns noch ein wenig an deinem Wissen und deiner Weisheit teilhaben. Davon könnten beide Seiten profi…«
»Wex! Komm sofort runter!«, brüllte Spragg. »In der Baumkrone lauert ein Monster!«
Wex stöhnte. Spragg musste Verda gesehen haben, als sie sich aufbäumte.
Verdas Kopf fuhr herum. Sie schaute hinaus ins Tal. »Deine Begleiter sind mit einem Mal ganz schön aktiv.«
»Weil sie dich gesehen haben, fürchte ich«, erklärte Wex. »Was tun sie?«
»Sie rotten sich zusammen. Ziehen alle möglichen Waffen. Schreien aufgeregt durcheinander. Und der Kerl da unten,
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