Die Karte Des Himmels
manchmal tat sie es auch. Er hatte den Raum genau so belassen, wie er in ihrer Erinnerung gewesen war, und sie empfand es als tröstlich, dort zu sitzen und an ihren Vater zu denken. Es gab keinen anderen Ort, an dem sie das tun konnte. Manchmal ging Augustus hinaus, um die Sterne zu beobachten, aber niemals wieder in ihrem Leben würde sie sich einverstanden erklären, den Turm aufzusuchen. Für sie war er ein Ort der Angst und des Schreckens geworden.
Als Friedensangebot und im Gedenken an ihren Vater schenkte sie Augustus ein Buch für die Bibliothek, einen neuen Druck des Atlas Coelestis , welcher ihn erfreute, aber nie fand er den Mut, ihr sein Geheimnis anzuvertrauen ... das Geheimnis, das Esther beinahe das Leben gekostet hatte. Stattdessen gab er, nachdem sie an der Influenza verstorben war, das wundervolle Deckengemälde in Auftrag, den krönenden Glorienschein der Bibliothek. Hugh fand unter ihren Papieren einen dicken Umschlag, auf dem geschrieben stand: In der Bibliothek auf Starbrough Hall unterzubringen. Er öffnete den Umschlag und las: Ein Bericht von Esther Wickham. Er übergab ihn Augustus persönlich. Und nachdem Augustus die Seiten gelesen hatte, vertraute er Hugh erschüttert an, was er getan hatte.
Durch die halb geöffnete Tür hatte Augustus beobachtet, wie sie den Brief Bellinghams in die Schreibtischschublade stopfte, und brannte vor Neugier. Später am Tag holte er den Brief hervor und las ihn. Er verstand nicht mehr von seinem Inhalt, als dass seine Rivalin um Starbrough Hall irgendetwas im Schilde führte, irgendetwas, was die Pläne seiner Mutter durchkreuzen konnte.
Während des restlichen Tages beobachtete er Esther, ihre heimlichen Vorbereitungen, und als sie an jenem Abend zum Starbrough Folly schlich, folgte er ihr. Nachdem sie mit dem letzten Stück des Teleskops die Treppe zum Turm hinaufgestiegen war und der Karren leer vor der Tür stand, war es, als würde er die Stimme seiner Mutter in seinem Ohr hören: Du weißt, was du zu tun hast, Junge!
Die Frage war lediglich, ob er den kleinen Karren draußen stehen lassen sollte, wo er jemanden hätte alarmieren können, der zufällig vorbeikam, oder ob er es riskieren sollte, dass sie ihn hörte und seinen Anschlag vorausahnte. Wenn ich schnell genug bin, beschloss er ... und rollte den Karren in den Turm hinein, schlug die Tür zu und verriegelte sie, bevor er in den Schutz der Bäume zurücksprang.
Zwei Nächte lang war ihm angst und bange, und er hielt seine Tat geheim. Und dann überrollten ihn die Ereignisse. Esthers Verschwinden wurde als Fortlaufen gedeutet, als Eingeständnis ihrer Niederlage, und genau so verkündete Alicia es auch dem Haushalt. Anwälte kamen, neue Dokumente wurden aufgesetzt, durchgesprochen, unterzeichnet. Der Streit hätte sich in die Länge gezogen, denn Anthonys Anwalt beharrte auf seiner Treuepflicht, aber Esthers Verschwinden ließ seinen Einsatz für den Fall erlahmen.
In der dritten Nacht, als auf dem Turm ein Licht zu sehen war, brach Augustus schließlich zusammen und gestand seiner Mutter, was er getan hatte. Zuerst war sie erschrocken. Wer hätte es für möglich gehalten, dass ein schwächliches dummes Kind wie er zu solch entschlossenem Handeln fähig wäre? Aber dann trat ein verschlagener Ausdruck in ihre Augen, und ihn erfasste kalte Furcht. Als Alicia Mr. Trotwood zu sich rief und ihm den Auftrag erteilte, zog Gussie sich in sein Zimmer zurück. Nicht in seinen schlimmsten Albträumen hätte er damit gerechnet, dass seine Tat solch entsetzliche Folgen nach sich ziehen würde. Und obwohl er erleichtert war, dass sie hatte entkommen können, verfolgte ihn die Tat sein ganzes Leben lang, bis zu jenem Nachmittag auf dem Pfad, als seine Augen Esther wieder erblickten.
40. Kapitel
Es war die Woche vor Ostern, die Zeit, in der Lord Madingsfield die Türen seines herrschaftlichen Anwesens öffnete, um die Sommersaison einzuläuten. Jedes Jahr gestaltete er mit Stücken aus seinen Archiven und Sammlungen eine Ausstellung, die einen bestimmten Aspekt der Geschichte des Hauses und der Familie präsentierte. Der dreizehnte Earl, ein Arktisforscher, hatte ihn zu der letztjährigen Ausstellung »White Out« inspiriert. Im Jahr davor hatte er den Beitrag des zehnten Earls zur Agrarrevolution des achtzehnten Jahrhunderts gewürdigt. Und in diesem Jahr, 2009, dem internationalen Jahr der Astronomie, bot sich die perfekte Gelegenheit, die Geschichte der Esther Wickham zu erzählen, der verlorenen
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