Die Karte Des Himmels
ertragen.
»Augustus!«, rief sie.
Er straffte sich und schaute auf, blieb dann stehen und starrte sie an, als wäre sie eine Chimäre, die aus seinem Buch ins Leben entwichen war. »Esther?«, flüsterte er.
»Ich heiße jetzt Stella«, gab sie zurück und verfluchte Mollys Neugier. Jedoch beschlossen die kleinen Mädchen sogleich, dass der Mann von keinerlei Interesse war, und jagten lieber einem Schmetterling nach, der sich erschöpft auf dem matschigen Feldweg niedergelassen hatte.
»Stella«, wiederholte er und lächelte schwach, »immer noch ein Stern.«
»Molly«, sagte sie mit fester Stimme, »wollen Sie mit den Kindern schon mal vorausgehen? Mr. Wickham und ich sind alte Freunde und wünschen, allein miteinander zu sprechen.«
Sie schaute den Mädchen nach, die davonsprangen, die ältere mit einem sterbenden Schmetterling oben auf einem Stock, den sie wie ein Banner vor sich hertrug.
»Was ist mit dir geschehen?«, fragte Augustus in dringlichem, beinahe verzweifeltem Tonfall. »Ich dachte ... ich hatte befürchtet, dass du tot bist. Und dass alles meine Schuld ist.«
»Deine Schuld? Wie das? Wir waren Kinder, Gussie. Wir waren machtlos. Deine Mutter ...«
»Du weißt doch, dass meine Mutter tot ist?«
»Nein, es ...« Aber nein, sie konnte nicht sagen, dass es ihr leidtue, nicht, wo eine solche Welle der Erleichterung sie durchflutete. »Wann?«
»Vor drei, nein, vor vier Sommern. Eine Krankheit am Kehlkopf. In den letzten Wochen konnte sie nicht mehr sprechen.«
Das muss wunderbar gewesen sein, dachte Esther, sagte aber natürlich nichts. »Und dein Vater?«
»Er lebt noch, aber Lincolnshire verlässt er nicht. Esther ... Stella ... warum Stella, um Gottes willen?«
»Ich musste meinen Namen ändern. Augustus, ich habe Trotwood nicht getötet, aber Dr. Brundall hat uns trotzdem zur Vorsicht geraten. Ich habe seinen Sohn Hugh geheiratet. Wir leben sehr zurückgezogen. Ich möchte niemandem Ärger machen. Am wenigsten dir und deiner Familie.«
»Und doch«, rief er aus, »hast du mir, wenn auch, ohne es zu wollen, Ärger verschafft, der mir für mein ganzes Leben reicht!«
»Wie kann das sein?«, rief sie erschrocken. Doch dann erinnerte sie sich an die schrecklichen Ereignisse zehn Jahre zuvor, und kalte Wut stieg in ihr hoch. Sie war doch diejenige gewesen, die Mühsal erduldet hatte! Ausgestoßen und ohne ein Heim war sie viele Monate lang mit den Zigeunern umhergezogen, oft hungrig und krank vor Erschöpfung, immer vor Kälte zitternd. Dafür, dass sie sie aufnahmen, hatte sie ihnen die Halskette überlassen – wie schade, dass sie einen Stern verloren hatte! –, dann besaß sie überhaupt nichts mehr. Und sie entdeckte ein Geheimnis: Rowan war gar nicht eine von ihnen, sie hatten sie als Roma getarnt, indem sie ihr das Haar färbten. Ob Rowan ein Findelkind gewesen war wie sie selbst oder ein Wechselbalg, das man irgendeiner reichen Familie aus der Wiege ihrer Ahnen gestohlen hatte, verriet man ihr nicht, und sie wusste, dass es nicht klug war, danach zu fragen.
Schließlich wurde ihr Flehen erhört, und die Zigeuner lieferten Esther an der Tür des einzigen Menschen auf der Welt ab, von dem sie annahm, dass er ihr helfen würde: Jonathan Brundall. Und er hatte sich um seines alten Freundes Anthony willen um sie gekümmert, und er war großzügig gewesen, als Hugh sich in sie verliebte, wo zahlreiche andere Väter die Verbindung verboten hätten. Nach Jahren des Studiums gründete Hugh eine Praxis in der benachbarten Pfarrei, wo sie schließlich in aller Stille heirateten.
» Ich hätte dir Kümmernis bereitet, Gussie?«, fragte sie wieder, diesmal aber mit leiser, leidenschaftlicher Stimme. » Du bist derjenige, der mein Erbe angetreten hat, es war deine Familie, die mir meinen Namen und mein Zuhause genommen hat. Wenn ich dir Ärger bereitet habe, dann muss es wegen meiner bloßen Existenz gewesen sein, und für diese kann ich mich kaum entschuldigen.«
Augustus wagte es nicht, ihrem Blick zu begegnen. Sie hatte recht, wenn sie den Einfluss seiner Mutter für alles verantwortlich machte. Denn der war größer, als Esther es ahnte, und die Schande würde auf ewig auf ihm lasten.
Nun, da er sie gefunden hatte, wollte er sie gerne wiedersehen. Aus Starbrough Hall traf eine Einladung zum Essen ein, und Hugh hielt es für klug, dass sie zusagten. Nach dem Dinner nahm Augustus sie mit in die Bibliothek ihres Vaters und verkündete, dass sie so oft herkommen dürfe, wie sie wolle. Und
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