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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sie nur das Rascheln von Stoff und das Scharren der Füße auf den Boden.
    Dann klatschte der Bischof langsam, aber deutlich vernehmbar in die Hände. Als wäre es für ihn das Normalste der Welt, die Messe zu unterbrechen, nickte er Giulia huldvoll zu. »Eccellente. Das ist eine Stimme, wie nur Gott sie schaffen kann!« Dann gab er dem nächsten Sänger das Zeichen, fortzufahren.
    Der Aufgeforderte und die übrigen Mitbewerber gaben sich zwar alle Mühe, doch keiner von ihnen konnte jetzt noch die Aufmerksamkeit des Bischofs erringen.
    Als das letzte Amen gesprochen war, versammelten sich die Sänger auf einen Wink des Kirchendieners in einem Halbkreis vor dem Bischof. Della Rocca thronte auf seinem Gebetstuhl, sein Gefolge wie auf einem Gemälde um sich versammelt, während sein Diener die Sänger einzeln vor ihn treten ließ. Della Rocca fragte jeden mit sanfter Stimme nach Namen und Herkunft und wies dem Diener mit knappen Handzeichen an, wie er den Sänger zu entlohnen wünschte. Er schien heute großzügig gestimmt zu sein, denn er ließ jedem eine Silbermünze in die Hand drücken. Das erinnerte Giulia an jene Szene in Saletto, als der Abt Zuckerfrüchte an die Chorknaben verteilt hatte, und sie musste unwillkürlich kichern.
    Ein Mönch räusperte sich und sah Giulia missbilligend an. Sie atmete mehrmals tief durch, um ihre nervöse Anspannung niederzukämpfen, und konzentrierte sich auf das, was sich vor ihr abspielte. Der Bass, der tatsächlich aus Flandern stammte, erhielt neben dem Zwanzigsoldistück eine Anstellung in der Kirche Santa Eulalia und bedankte sich bei dem Bischof in einem grässlichen Italienisch. Dann war Giulia an der Reihe. Die Angst, erkannt zu werden, krampfte ihr das Herz zusammen.
    Della Rocca lächelte jedoch nur gönnerhaft und drückte ihr persönlich einige Münzen in die Hand. »Meraviglioso, mein Sohn. Deine Stimme ist wirklich ein Geschenk des Allmächtigen an uns schwache Menschen.«
    Giulia verneigte sich und versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. »Ich danke Euch, Eure Eminenz. Ihr seid zu gütig.«
    Della Rocca hob abwehrend die Hände. »Ich habe dir zu danken. Du hast mir ein großes Geschenk gemacht. Du wirst dich bei Meister Giovanni Pierluigi, dem Chormeister der Kirche Santa Maria Maggiore, melden. Er wird sicher eine Verwendung für deine unvergleichliche Stimme wissen.«
    Dabei tätschelte der Bischof Giulias Wange, als hätte er einen Chorknaben vor sich. Mit einem letzten huldvollen Winken stand er auf und verließ mit einem selbstzufriedenen Lächeln die Kirche.
    Della Rocca hatte allen Grund, mit sich zufrieden zu sein. Der Chor von Santa Maria Maggiore galt neben dem der Sixtinischen Kapelle als der beste der Welt und wurde von Seiner Heiligkeit, Papst Pius  IV ., dem ehemaligen kunstsinnigen Bischof Giovanni Angelo de Medici, in besonderer Weise gefördert. Ein Kastrat mit einer solchen Stimme konnte daher ein Baustein für seine eigene Karriere sein. Francesco della Rocca richtete seinen Ehrgeiz zwar nicht auf die Tiara, doch der Purpur eines Kardinals schien ihm plötzlich zum Greifen nahe.
    Während sich der Bischof angenehmen Tagträumen hingab, wusste Giulia nicht so recht, was sie von dem Ganzen halten sollte. Unschlüssig stand sie da und sah zu, wie die aufgeregt schwatzenden Gläubigen zum Kirchenportal hinausströmten. Erst, als der Kirchendiener hereinkam, um die Kerzen wieder zu löschen, verließ auch sie das Gotteshaus und kehrte in die Wohnung der Gonfales zurück. Dort wartete ein gut gelaunter Vincenzo auf sie. »Du wirst es nicht glauben, Giulio, doch ich habe eine Wohnung gefunden. Leider ist Rom sehr teuer, so dass wir uns nur drei Zimmer leisten können. Assumpta und Beppo können wir in einem Raum einquartieren. Du kannst dir das helle, große Zimmer mit deinem Vater teilen, und ich nehme die Kammer, die noch übrig ist, für mich.«
    Giulia sah Vincenzo an, dass dieser liebend gerne ein Zimmer für sich gehabt hätte. Doch diesen Gefallen konnte sie ihm nicht tun. »Ich bin es gewohnt, ein Zimmer für mich allein zu haben.« Ihr Ton schloss jeden Widerspruch von vornherein aus. »Du wirst einen Raum mit meinem Vater teilen müssen. Er schnarcht so stark, dass ich nicht schlafen kann, und das schadet meiner Stimme. Ich hoffe, dass du es nur für ein paar Wochen ertragen musst. Wenn die Gagen stärker fließen, werden wir uns eine größere Wohnung leisten.«
    Vincenzo sah sie mit enttäuschten Hundeaugen an. »Willst

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