Die Kastratin
du genauso auftreten wie in Cremona oder Mantua, um Geld zu verdienen? Dann wird dir aber die Zeit fehlen, dich um deine Ausbildung zu kümmern.«
Giulia lächelte zufrieden. »Im Gegenteil, ich werde weniger auftreten. Ich war heute Vormittag in der Kirche Santa Ursula, wie die meisten Sänger, die ohne Empfehlungsschreiben nach Rom kommen.«
Vincenzo winkte verächtlich ab. »Da laufen doch nur die Stümper hin, die froh sind, eine warme Mahlzeit zu ergattern.«
»Da habe ich schon ein wenig mehr bekommen.« Jetzt lachte Giulia ungewohnt fröhlich auf. »Ich wurde aufgefordert, mich beim Chormeister von Santa Maria Maggiore zu melden. Er heißt Giovanni Pierluigi.«
Vincenzo riss es förmlich herum. »Pierluigi? Das ist doch Palestrina!«
»Sehr richtig.« Giulia machte vor Übermut ein paar Tanz-schritte.
Vincenzos Miene verdüsterte sich. »Wenn du bei Palestrina lernen kannst, hast du wohl kein Interesse mehr, mich zu Meister Galilei zu begleiten.«
»Wer sagt denn das? Wenn ich von zwei großen Meistern lernen kann, ist mir das nur recht. Übrigens, hier ist mein Salär für meinen Auftritt in Santa Ursula.« Sie reichte Vincenzo die Summe, die della Rocca ihr zugesteckt hatte.
Vincenzo warf einen kurzen Blick darauf und stieß einen überraschten Pfiff aus. »Man hat dich ja äußerst nobel bezahlt. Ich glaube jedoch nicht, dass du ebenso viel erhältst, wenn du in Palestrinas Chor singst.«
»Es wird für unseren Aufenthalt und das Schulgeld bei Meister Galilei reichen«, gab Giulia mit ungewohntem Optimismus zurück.
Dann suchte sie ihren Vater auf, um ihn auf den bevorstehenden Umzug vorzubereiten. Wie erwartet hatte er alles Mögliche an ihren Plänen auszusetzen. Ihm schien es unsinnig, einen Ort zu verlassen, an dem man kostenfrei wohnen konnte und dabei noch gut versorgt wurde. Giulia versuchte, ihm klar zu machen, dass sich die Dankbarkeit der Gonfales irgendwann einmal verlieren würde. Er begriff nicht, dass Giulia gehen wollte, solange ihre Gastgeber ihren Umzug als Verlust ansehen würden, beugte sich aber schließlich ihrem Willen.
IV .
A ls Giulia Assumpta von der neuen Wohnung erzählte, war diese mindestens ebenso froh wie ihre Herrin. Die Dienerschaft hatte ihr einigen Klatsch zugetragen, den sie Giulia bisher verschwiegen hatte, um sie vor dem für sie so wichtigen Auftritt in Santa Ursula nicht zu beunruhigen. Jetzt aber quoll ihr Mund über. Angeblich hatte Paolo Gonzaga die Dame des Hauses mittlerweile davon überzeugen können, dass ein Sänger, selbst wenn es sich um einen bekannten Kastraten handelte, nicht der richtige Umgang für ihre Töchter war, und ganz nebenbei sollte er Vincenzo als Mitgiftjäger bezeichnet haben, vor dem man sich in Acht nehmen müsse. Daher wunderte sich Giulia nicht, als Lucretia Gonfale die Nachricht von ihrem geplantem Auszug sichtlich erleichtert aufnahm. »Ich wollte Euch nicht drängen, Messer Casamonte. Doch Eure Entscheidung kommt mir gelegen. Ich will neues Personal einstellen und bin froh, dass ich wieder über Eure Zimmer verfügen kann.«
Das klang so kalt und selbstzufrieden, dass Giulia davon Abstand nahm, die Dame noch einmal vor Gonzaga zu warnen. Sie hatte ebenfalls ein offenes Ohr für Gerüchte und hatte daher von anderer Seite erfahren, dass Paolo dringend Geld brauchte. In Rom pfiffen es die Spatzen von den Dächern, dass sich einige Mitglieder der Gonzaga-Sippe gegen den regierenden Herzog Guglielmo aus Mantua verschworen hatten. Auch Lucretia Gonfale musste es wissen, denn ihrem Benehmen und ein paar zusammenhanglosen Bemerkungen nach schien sie ihre Tochter Giovanna bereits als Herzogin von Mantua oder wenigstens als Markgräfin von Montferrat zu sehen, das ebenfalls zum Besitz der Gonzagas gehörte. Giulia hielt den Buckligen auf Mantuas Thron jedoch für einen harten Mann, der fähig war, sich gegen seine Verwandtschaft durchzusetzen und sich ihrer rücksichtslos zu entledigen.
So verbeugte sie sich nur vor der Dame, von der sie hoffte, sie so bald nicht wiedersehen zu müssen. »Wir werden Euch für Eure Großzügigkeit ewig zu Dank verpflichtet sein.« Ganz so einfach ließ Lucretia Gonfale sie jedoch nicht gehen. Einen Tag, bevor Giulia und ihre Begleiter ihre neue Wohnung bezogen, veranstaltete sie ein Fest, als dessen Hauptattraktion Giulias Auftritt angekündigt wurde.
Paolo Gonzaga war als Ehrengast geladen und gab sich alle Mühe, den Kastraten und Vincenzo zu ignorieren. Giulia kümmerte es nicht. Sie sang ihre
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