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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Ärmel festhielt.
    Als Vincenzo Giulias suchenden Blick auf sich gerichtet sah, schüttelte er den anderen ab und kam auf sie zu. Dann erblickte er Paolo Gonzaga, der den Kastraten wie ein störendes Insekt musterte, und bemerkte den angespannten, ja fast feindseligen Blick, den Giulio dem Offizier zuwarf. Für einen Augenblick schien etwas zwischen den beiden aufzuflammen, und Vincenzo begriff instinktiv, dass sein Giulio und dieser Gonzaga ein Geheimnis miteinander teilten, von dem er ausgeschlossen war.
    Zu seiner Verblüffung verspürte er plötzlich eine wilde Eifersucht. In den letzten drei Jahren war abgesehen von Assumpta niemand Giulio Casamonte näher gewesen als er. Aber die Dienerin zählte ja nicht. Er richtete sich auf, trat auf die Gruppe zu und legte seinem Freund die Hand auf den Arm. »Du hast wunderbar gesungen, Giulio. Ich wollte es dir schon vorher sagen, doch ich musste vorher den Schwätzer Michele Pardenza loswerden.« Dabei lachte er scheinbar fröhlich.
    Giulia vernahm einen Unterton in seiner Stimme, der sie erschreckte, und die ungewohnte Traurigkeit in seinem Blick tat ihr weh. Sie riss sich zusammen und erinnerte sich an die Pflicht der Höflichkeit. »Du kennst Messer Paolo Gonzaga.«
    Vincenzo gönnte dem Offizier die knappste Verbeugung, die ihm möglich war, und forderte Giulia auf, mit dem nächsten Lied zu beginnen.

III .
    G iulias Auftritt bei den Gonfales trug ihr neue Bekanntschaften und damit auch ein Menge Angebote ein. Da sie aber nach Rom gekommen war, um ihre Stimme weiterzubilden, sagte sie vorerst nur bei einigen größeren und besser bezahlten Einladungen zu. Ihr Vater machte ihr deshalb Vorhaltungen und stellte den geplanten Umzug wieder in Frage. Giulia hörte ihm schweigend zu und erklärte schließlich, dass Vincenzo sich in ihrem Auftrag bereits um ein neues Quartier bemühen würde. »Ich habe keine Zeit, deinem Lamentieren länger zuzuhören«, setzte sie kühl hinzu, »denn ich muss mich umziehen, um pünktlich zur Abendmesse in der Kirche Santa Ursula zu erscheinen.«
    Ihr Vater verzog das Gesicht wie ein Kind, das seinen Brei nicht aufessen will. »Hast du dort ein Engagement, oder willst du bloß wieder gutes Geld unnütz in den Opferstock werfen?«
    »Wenn du dich um unsere Belange kümmern würdest, wüsstest du, dass jeder Sänger, der nach Rom kommt, am Mittwoch bei der Abendmesse in der Kirche Santa Ursula vorsingen darf. Der geringste Lohn besteht aus einem Abendessen und einem Nachtlager. Gute Sänger aber erhalten ein Engagement in einer der großen Kirchen, manchmal sogar in der Capella Sistina oder in San Pietro selbst.«
    Mit diesen Worten ließ Giulia ihren Vater stehen und trat in ihr Kämmerchen, in dem Assumpta bereits ein graues Wams ohne unterfütterte Schlitze und einfache braune Hosen für sie bereitgelegt hatte. Diese Sachen hatte Giulia sich eigentlich für Reisen auf staubigen Straßen schneidern lassen. Für ihr heutiges Vorhaben schienen sie jedoch genau das Richtige zu sein.
    Sie hatte bereits vor einiger Zeit in Urbino von der Sitte des Vorsingens in Santa Ursula gehört und war auch hier in Rom von mehreren Seiten auf diese Chance aufmerksam gemacht worden. Sie hoffte, den Almosenier von Santa Ursula mit ihrem Gesang zu überzeugen, um auf diese Weise zu einem längerfristigen Engagement zu kommen, das ihr ein stabiles Einkommen gewährte und ihr trotzdem genug Zeit ließ, ihre Stimme weiter auszubilden. Würde sie ständig nach neuen Einladungen Ausschau halten müssen, so durfte sie kaum eine von ihnen ausschlagen, und dann würde sie niemals ein erstklassiger Sänger werden.
    Assumpta half ihr in die Hosen, die erneut etwas strammer saßen als beim letzten Mal, und reichte ihr das Wams. Dabei horchte sie nervös, ob sich jemand auf dem Gang näherte. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass die Dame des Hauses keine verschlossenen Türen liebte. »Ich will ja nichts gegen die Gonfales sagen, aber es wäre wirklich besser, wenn wir bald eine eigene Wohnung hätten«, drängte sie.
    »Du hast ja Recht, Assumpta. Vincenzo schaut sich schon um. Am besten ist, du fragst ihn heute Abend, ob er schon etwas Passendes gefunden hat.« Giulia zog die alte Frau an sich und nickte ihr aufmunternd zu. Dann vernahm sie bekannte Schritte, die sich der Zwischentür näherten, und verließ beinahe fluchtartig die Wohnung.
    Sie hatte sich bei den Bediensteten der Gonfales nach dem Weg zur Kirche Santa Ursula erkundigt, merkte aber bald, dass die beste

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