Die Kastratin
Lieder, unterhielt sich mit einigen Gästen, die ihr sympathisch waren, und zog sich, sobald es ging, in ihr Zimmer zurück. Da das Haus äußerst hellhörig war, ließ der Lärm der Feiernden sie jedoch lange Zeit nicht einschlafen.
Am nächsten Morgen musste sie früh aufstehen und zur Kirche Santa Maria Maggiore eilen. Nach allem, was sie von dem berühmten Komponisten wusste, galt Palestrina, der sich bereits in der Gnadensonne mehrerer Päpste gewärmt hatte, als ebenso genialer wie schwieriger Chormeister. Als Giulia sich vor ihm verneigte, war sie bereit, diese Meinung uneingeschränkt zu teilen. Er war ein hagerer, leicht vornübergebeugter Mann mit ungepflegtem Bart und schief gezogenem Mund, der so säuerlich dreinblickte, als hätte es soeben all seinen Sängern die Stimme verschlagen.
Er starrte Giulia missmutig an. »Was willst du? Komm morgen wieder. Ich hab jetzt keine Zeit für dich.«
»Mein Name ist Casamonte. Seine Eminenz, Bischof della Rocca, hat mich aufgefordert, mich bei Euch zu melden.«
»So, hat er das?« Giovanni Pierluigi musterte sie wie ein Insekt, das gerade über die sauber gefegten Dielen krabbelte. »So, vorsingen sollst du. Na ja, dann tu es. Aber mach rasch. Ich habe keine Zeit für irgendwelche Stümper.«
Wütend über diesen Empfang beschloss Giulia, dem arroganten Kerl den Beginn jener Messe vorzusingen, die er eigens für das Fest in Saletto komponiert hatte.
Wenn es ihn überraschte, sein eigenes Werk zu hören, so zeigte Palestrina es nicht. Er richtete sich ein wenig auf, verschränkte die Hände vor der Brust und hörte ihr aufmerksam zu. Erst nach einer geschlagenen Stunde hob er die Hand. »Genug. Du singst wirklich nicht schlecht. Ich dachte mir schon, dass du etwas kannst. Della Rocca schickt niemanden zu mir, der dem Heiligen Vater missfallen könnte. Komm übermorgen um neun Uhr zu den Proben wieder.« Darauf drehte er sich um und ließ sie stehen.
Giulia sah ihm entgeistert nach und wusste nicht, ob sie sich so einfach abfertigen lassen sollte. Doch da trat einer seiner Gehilfen auf sie zu und reichte ihr ein dickes Buch voller Notenblätter. »Der Meister wünscht, dass Ihr bis übermorgen die ersten fünf Gesänge durchgeht.«
V .
D er Umzug vom Haus der Gonfales in ihr neues Heim in der Via Aurelia ging ohne Probleme vonstatten. Sogar Giulias Vater hatte sich mit der Veränderung abgefunden. Er wirkte sogar ein wenig erleichtert, als er sich von ihren Gastgebern verabschiedete. Der spöttische Blick, den die Kammerzofe der Gonfale-Töchter ihm zuwarf, zeigte Giulia, dass ihr Vater wieder einmal sein Glück bei dem falschen Frauenzimmer versucht hatte.
Sie hatte jedoch nicht die Zeit, sich Gedanken um ihn zu machen. Die Proben in Santa Maria Maggiore verlangten ihr alles ab. Sie musste gegenüber den anderen Chormitgliedern viel aufholen und sich zudem mit deren offen zur Schau gestelltem Neid herumschlagen. Die meisten Sänger waren Mönche, denen als Lohn für ihre Kunst das Seelenheil in der anderen Welt versprochen worden war. Palestrina hielt sich hingegen mehr an irdische Güter und ließ sich vom Papst fürstlich entlohnen. Als nun auch der Kastrat eine ansehnliche Gage zugesprochen bekam, begannen die Mönche recht unfromm zu murren.
Zu ihrem Pech fühlte Palestrina sich persönlich angegriffen. Er lief zuerst rot an, besann sich dann jedoch auf seine scharfe Zunge. »Casamontes Gesang passt euch anscheinend nicht. Wer von euch will also an seine Stelle treten?«
Fra Mariano, der von den anderen als Sprecher vorgeschickt worden war, hob mit einer verwunderten Geste die Hände. »Aber Meister Pierluigi, Ihr wisst doch, dass keiner von uns ein Kastrat ist.«
»Wie? Ihr seid keine Kastraten? Und da wagt ihr es, jemanden, der der Kunst ein so großes Opfer gebracht hat, die paar Dukaten zu neiden, die Seine Heiligkeit als Dank für seine Stimme für angemessen hält? Seit wann ist es Sitte, dass die Mitglieder des Chores von Santa Maria Maggiore klüger sein wollen als der Papst?«
In dem Augenblick hätte Giulia den Chormeister umarmen können. Er mochte ein kleinlicher, unbequemer Mensch sein, doch wenn es um den Gesang ging, ließ er sich durch nichts be-irren. »Ich danke Euch, Meister Pierluigi«, sagte sie mit einer ehrlich gemeinten Verbeugung zu ihm.
»Ist schon gut, Casamonte. Diese braven Fratres haben es nicht böse gemeint. Sie wollen ja ebenso wie wir an den hohen Festtagen vor dem Heiligen Vater und seinen illustren Gästen
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