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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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versuchte. Um ihren Blick nicht unwillkürlich zu ihm schweifen zu lassen, versenkte sie sich in die Betrachtung des fein gestickten päpstlichen Wappens auf dem für Pius  IV . vorbereiteten Chorstuhl. Palestrina glaubte, sie sei geistesabwesend, und fuhr sie leise an. Giulia schenkt ihm einen leicht gekränkten Blick und ging in Gedanken noch einmal die ersten Strophen der Missa Papae Marcelli durch.
    Als sie wieder zu dem Platz des Papstes hinüberblickte, sah sie geradewegs in die leidende Miene des Heiligen Vaters. Er starrte düster brütend vor sich hin, im Gegensatz zu dem Bischof della Rocca und Gisiberto Corrabialli, dem Grafen von Saletto, die zu Giulias Schrecken zu seinem Gefolge gehörten und sich angeregt unterhielten. Corrabialli trug ein Wams und Hosen aus silberner Seide, die im Licht der unzähligen Kerzen wie Geschmeide funkelten, und hatte an jeden Finger einen Ring gesteckt. Ein Stück weiter hockte Kardinal Ippolito d’Este wie eine missmutige Kröte. Auch er hatte zu jenen gehört, vor denen Giulia damals bei dem Fest des heiligen Ippolito in Saletto gesungen hatte.
    Giulia erinnerte sich, dass sie auch damals ein Chorhemd wie dieses getragen hatte, und zitterte bei dem Gedanken, jetzt singen zu müssen. Wenn sich auch nur einer der drei Männer an jenen Tag in Saletto erinnerte, war es um sie geschehen. Vor ihrem inneren Auge sah sie schon den Scheiterhaufen auf der Piazza dei Fiori auflodern, und in ihren Ohren glaubte sie ihre gellenden Schreie zu vernehmen.
    Eine kurze, aber eindringliche Stille riss sie aus ihren panikerfüllten Gedanken. Sie sah Meister Pierluigi ungeduldig Zeichen geben, spürte die Augen der Menge auf sich gerichtet und öffnete den Mund. Wie von selbst formten sich die richtigen Töne in ihrer Kehle, und die Welt um sie herum hörte auf zu existieren.
    Giulia wurde ihrer Umgebung erst wieder bewusst, als der letzte Ton der Missa Papae Marcelli verklungen war. Palestrina nickte ihr sichtlich erleichtert zu und deutete mit einer kaum wahrnehmbaren Geste auf die Menschen in der Kirche. Die meisten davon knieten wie erstarrt in ihren Gebetstühlen und wagten kaum zu atmen. Selbst der Papst wirkte ergriffen. Della Rocca nahm darauf keine Rücksicht, sondern redete heftig auf ihn ein. Soviel Giulia wusste, hatte er einen Teil der neuen Messe finanziert und mehrere der Sänger persönlich ausgesucht. Nun rechnete er sich den Erfolg ganz persönlich an. Aber auch die übrigen Begleiter Pius  IV . lobten die neue Messe in höchsten Tönen.
    Schließlich hob der Papst die Hand und bat seine Begleiter zu schweigen. Della Rocca stand auf, nahm Palestrina bei der Hand und führte ihn vor den Heiligen Vater, als sei der Meister sein Eigentum.
    Der Heilige Vater begrüßte Giovanni Pierluigi mit bemerkenswert kräftiger Stimme und deutete auf den Chor: »Ich will nicht nur den Meister sehen, sondern alle Sänger.«
    Die Mönche konnten ihr Glück kaum fassen, dem Stellvertreter Christi auf Erden in die Augen blicken und seinen Ring küssen zu dürfen. Giulia hingegen empfand nur Panik. Palestrina winkte sie als Erste nach vorne und hieß sie vor den Papst zu treten. Sie neigte ihr Haupt so tief, wie es nur ging, und versuchte verzweifelt, della Rocca und dem Grafen von Saletto den Rücken zuzudrehen.
    Pius  IV . hielt ihr seine Hand mit dem Ring hin. »Ihr habt eine herrliche Stimme, wie geschaffen, Gott zu lobpreisen.«
    Giulia berührte den Stein flüchtig mit den Lippen und blieb mit gesenktem Kopf stehen. »Eure Heiligkeit ist zu gütig.«
    »Ich würde Euch und diesen klangvollen Bass«, Pius  IV . zeigte dabei auf Fra Mariano, »gerne im Chor der Capella Sistina wissen.«
    Die Augen des Mönches glitzerten, und er wuchs förmlich in die Höhe. Giulia aber suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Die Mitglieder des Chors der Sixtinischen Kapelle besaßen zwar mancherlei Privilegien, doch sie lebten auf engstem Raum zusammen. Dort würde ihr wahres Geschlecht keine Nacht lang unentdeckt bleiben. »Eure Heiligkeit ist zu gütig«, wiederholte sie. »Doch ist meine Kunst noch zu gering, um vor Euch bestehen zu können. Ich möchte noch durch viele Städte ziehen und bei anderen großen Meistern lernen, bis ich jenen Gipfel der Kunst erreicht habe, der es mir ermöglicht, ohne Schamröte Gottes und Euren Ruhm zu preisen.«
    Della Rocca fuhr auf. »Man widerspricht Seiner Heiligkeit nicht.«
    Pius  IV . hob lächelnd die Hand. »Ich schätze Euren Eifer, mein lieber Bischof. Doch

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