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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ganz auf die Teile der neuen Messe, die sie am Sonntag singen sollte. Dafür gab sie sogar ihre Besuche bei den Galileis auf, bat aber Vincenzo, ihnen Grüße auszurichten. »Sag ihnen, dass ich noch viel für die neue Messe üben muss«, setzte sie mit einem Lächeln hinzu, das ihre Augen jedoch nicht erreichte. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie immer noch nicht ganz wiederhergestellt war.
    Vincenzo musterte sie besorgt. »Ich werde es Meister Galilei und seiner Frau ausrichten. Sie werden es allerdings bedauern, dass du keine Zeit mehr für sie hast. Außer dir kann nämlich niemand den kleinen Galileo in den Schlaf singen, seit er kränkelt.«
    »Ich hoffe, er wird bald wieder gesund. Wahrscheinlich sind es doch nur die Zähne.« Jetzt stahl sich doch ein echtes Lächeln auf Giulias Lippen. Sie war traurig, das Kind so bald nicht mehr in ihren Armen halten zu können. Vielleicht würde sie es nie mehr tun, denn sie hatte sich entschlossen, Rom nach der Aufführung der Missa Papae Marcelli den Rücken zu kehren. Sie konnte nicht länger in dieser Stadt bleiben. Jedes Mal, wenn sie durch die Straßen ging, roch sie den Gestank nach verbranntem Fleisch, der sich dort festgefressen zu haben schien, und in den Nächten träumte sie trotz Assumptas Schlaftrünken immer wieder davon, wie die Flammen eines Scheiterhaufens sie verzehrten.
    Während Vincenzo in die Via del Macelleio zu Meister Galilei eilte, lenkte sie ihre Schritte zur Kirche Santa Maria Maggiore. Die Disziplin, die sie sich in den letzten Jahren angeeignet hatte, half ihr auch jetzt wieder, ihren Geist von allen Beschwernissen zu befreien und sich voll und ganz auf den Gesang zu konzentrieren.
    Sie gehörte zu den Ersten, die zu den Proben erschienen. Meister Pierluigi nahm es wohlwollend zur Kenntnis und bedachte kurz darauf diejenigen, die zu spät kamen, mit drastischen Flüchen. »In fünf Tagen werden wir die neue Messe singen, und Ihr trödelt, als hättet Ihr alle Zeit der Welt«, schrie er Fra Mariano an. Der Mönch verfärbte sich vor Ärger, stellte sich jedoch wortlos an seinen Platz. Palestrina eilte ihm nach und drückte ihm die Notenblätter in die Hand. »Auch wenn Ihr glaubt, Euren Text auswendig zu können, solltet Ihr Euch angewöhnen, die Noten mitzunehmen. Euer Gedächtnis kann Euch manchen Streich spielen.«
    Fra Mariano warf den Kopf hoch und schürzte die Lippen. »Mir gewiss nicht. Ich weiß nicht, was in Euch gefahren ist. Aber Ihr benehmt Euch wie eine Jungfrau vor dem ersten Mal, Meister Pierluigi.«
    Palestrina schnaubte böse, Giulia aber musste unwillkürlich lachen. »Habt Ihr so viel Erfahrung mit Jungfrauen, als Mönch meine ich?«, fragte sie Fra Mariano.
    Die anderen Mönche fielen in ihr Lachen ein. Sogar Meister Pierluigi musste schmunzeln. Nur Fra Mariano verzog keine Miene, sondern steckte die Notenblätter kurzerhand unter seine Kutte. Dabei starrte er sie wieder so seltsam an, als wolle sein Blick unter ihre Haut kriechen. Sie schüttelte sich kaum merklich und beschloss, dem Mann noch sorgfältiger aus dem Weg zu gehen.
    In den nächsten Tagen kam sie nicht dazu, sich Gedanken über den Sprecher der Mönche zu machen. Sie und die anderen Sänger hatten nichts mehr zu lachen. Palestrina schliff sie wie Rohdiamanten und schweißte sie zu einer Einheit zusammen, die mit einem einzigen Mund zu singen schien. Giulia erreichte dabei Höhen, an denen selbst die besten Kastraten oft scheiterten. Doch noch immer war der Chorleiter mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Noch am letzten Übungstag hackte er auf Giulia herum. »Casamonte, du musst mehr Fülle hineinlegen. Schließlich singst du morgen in Santa Maria Maggiore und nicht in einem winzigen Kämmerchen.« Palestrina klopfte mit dem Fuß auf den Boden und befahl Giulia, von vorn zu beginnen.
    Am Ende dieses Tages war sie froh, ihrem Zuchtmeister entrinnen zu können. Zu Hause schlief sie über der Suppe ein und merkte kaum, wie Assumpta sie zu Bett brachte. Zum ersten Mal seit vielen Tagen wurde sie nicht von Albträumen geplagt. Als Assumpta sie am nächsten Morgen weckte, fühlte sie sich zu Tode erschöpft und war überzeugt, die Uraufführung nicht durchstehen zu können.
    Nach einem leichten Frühstück ließ sie sich von Assumpta in ihre Hose und das Wams helfen. »Wünsche mir Glück«, bat sie die Dienerin. »Wenn die Aufführung der neuen Messe misslingt, wird Palestrina mir die Schuld geben.«
    Assumpta gab ihr einen aufmunternden Klaps. »Das wäre ja noch

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