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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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imponiert mir dieser junge, eh … der junge Mann. Sein Wunsch kommt gerade zur rechten Zeit. Ich plante erst gestern, Imperatore Massimiliano secundo einen Sänger zu senden, welcher die Heilige Messe mit allergrößter Inbrunst für ihn singen kann. Dieser Kastrat scheint mir der Richtige für diese Aufgabe zu sein. Er wird in meinem Auftrag nach Wien reisen.«
    Giulia wurde klar, dass sie in diesem Moment aus der Gewalt ihres Vaters in die unpersönliche und weitaus mächtigere des Papstes geraten war. Ihre Gedanken überschlugen sich, aber sie fand keinen Weg, wie sie sich seinem Befehl entziehen konnte. Neben ihr begann Fra Mariano heftig die Luft einzuziehen. Er drängte sie zur Seite, kniete vor den Papst nieder und breitete die Arme aus. »Heiliger Vater. Es wäre mir eine Freude, Casa-monte zum Kaiser zu begleiten.«
    Giulia erstarrte. Für einen Augenblick sah sie sich nackt und mit brennendem Haar in den Flammen winden, die dieser lüsterne Mönch angefacht hatte. Zu ihrem Glück reagierte der Herr der Christenheit sehr ungehalten. Verärgert über den Ton, den ein einfacher Mönch ihm gegenüber anzuschlagen gewagt hatte, wies er Fra Mariano von sich. »Eure Stimme wird im Chor der Capella Sistina benötigt.« Ohne den Mönch noch eines weiteren Blickes zu würdigen, winkte er den nächsten Sänger zu sich.
    Giulia brannte der Boden unter den Füßen. Sie hoffte, sich zurückziehen zu können, ehe sie doch noch jemand erkannte. Palestrina bemerkte ihre Unruhe und flüsterte ihr zu, sie solle in die Sakristei gehen und sich umziehen, ehe sich die anderen Mönche dort drängeln würden. Erleichtert entfernte Giulia sich von der Gruppe, nicht ohne sich nach Fra Mariano umzusehen. Doch der stand mit dem Gesicht eines trotzigen Kindes in der Ecke und hörte einem Mitbruder zu, der mit schwärmerischen Gesten auf ihn einredete. Giulia hoffte, ungesehen entkommen zu können. Einer der Beamten aus dem Gefolge des Papstes hielt sie jedoch auf und beäugte sie, als wisse er nicht, ob er es mit einem Wurm oder einem Menschen zu tun hätte. Als er den Mund auftat, verriet seine Stimme, dass er den Nichtmann irgendwo dazwischen eingeordnet hatte, etwa bei den Laufburschen oder Pferdeknechten. Doch er versuchte, höflich zu sein. »Signore Casamonte, Ihr kommt morgen früh in den Lateran und meldet Euch bei Fra Angelico. Von ihm erhaltet Ihr weitere Anweisungen für die Reise.« Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er sie stehen und schwebte zurück, um sich weiter in der Gnadensonne seines Herrn zu wärmen.
    Giulia fühlte sich, als habe man sie mit einem Kübel Eiswasser übergossen. Der Beamte hatte ihr klar gemacht, das man sie von jetzt an als Eigentum betrachten würde, das man nach Belieben hin- und herschicken konnte. Sie hätte klüger sein und weiterhin allein auftreten müssen, auch wenn die Engagements beim niederen Adel und den Handelsleuten weniger Ansprüche an sie und ihre Stimme stellten als der Kirchengesang. Stattdessen hatte sie immer wieder davon geträumt, noch einmal die Solostimme bei der Uraufführung einer Palestrina-Messe singen zu können. Das hatte sie nun erreicht, aber um welchen Preis? Ab jetzt würde sie ständig unter Beobachtung stehen und jeden Schritt, den sie tat, rechtfertigen müssen. Sie fragte sich bang, wie lange sie unter diesen Umständen ihre Maske noch auf-rechterhalten konnte.
    Sie war so in Gedanken versunken, dass sie mit einem einfach gekleideten Bediensteten zusammenstieß. Der wollte zuerst losschimpfen, trat dann jedoch zur Seite und ließ sie wortlos durch. Für einen Augenblick wunderte Giulia sich über den entgeisterten Ausdruck auf dem Gesicht des grobschlächtigen, jungen Mannes. Doch sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie einen Gedanken an einen Lakaien verschwendet hätte. Sie zog sich hastig um und eilte, ohne sich zu verabschieden, durch einen Nebeneingang hinaus. Auf dem Heimweg dachte sie wehmütig daran, dass sie den Galileis noch einen letzten Besuch abstatten musste. Sie waren die einzigen Menschen, die sie vermissen würde. Ihr Vater hingegen würde mehr Leuten nachtrauern, und ihr graute davor, ihm die Notwendigkeit einer schnellen Abreise klar machen zu müssen.

XIII .
    B ei allen Heiligen! Wir sollen über die Berge nach Norden gehen?« Assumpta konnte ihr Entsetzen nicht verbergen.
    Auch Beppo saß bleich und verängstigt wie ein gefangenes Vögelchen auf seinem Hocker und schüttelte in einem fort den Kopf. »Das wird nicht

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