Die Kastratin
gut gehen. Das geht gewiss nicht gut.«
Vincenzo hörte dem Gejammer der beiden Dienstboten eine Weile zu, bis ihm der Geduldsfaden riss und er mit der Faust auf den Tisch schlug. »Schämt ihr beide euch nicht, euch so anzustellen? Die Reise nach Wien wird vielleicht etwas unbequemer und weiter sein als eine nach Modena oder Ferrara. Aber dort leben auch nur Menschen und keine Ungeheuer. Außerdem ist es ganz lehrreich, einmal etwas anderes zu sehen als italienische Gassen und Häuser.«
Er lächelte Giulia zu, als wolle er ihr Mut machen. Giulia erwiderte das Lächeln und spürte, dass ihre Verzagtheit schwand und sie sich auf die Reise mit ihm zu freuen begann. Es war ihr völlig gleichgültig, wohin es ging, Hauptsache, Vincenzo war dabei. »Warst du schon einmal in Wien?«, fragte sie ihn neugierig.
Vincenzo schüttelte den Kopf. »Nein, weiter als bis Mailand und Venedig bin ich bis jetzt noch nicht nach Norden gekommen. Aber eine Reise auf Kosten des Heiligen Vaters schlage ich bestimmt nicht aus. Dieser Auftrag ist ein Privileg, um das dich viele beneiden werden, Giulio. Du kannst dir einiges darauf einbilden. Pius IV . schickt mit Sicherheit keinen Dilettanten zum Kaiser. Dafür ist das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und Maximilian II . zu angespannt. Sag mal, wann müssen wir aufbrechen?«
»Das erfahre ich morgen früh. Meinetwegen können wir sofort abreisen.«
Assumpta seufzte zum Steinerweichen. »Ich werde Beppo auf die Suche nach deinem Vater schicken.«
Giulia hob abwehrend die Hand. »Um meinen Vater kümmere ich mich selbst. Beppo soll dir beim Packen helfen.«
»Aber du kannst doch nicht in die Häuser gehen, in denen er verkehrt, schließlich bist du …«
»Ein Verschnittener, über den sich die Kurtisanen lustig machen werden? Vor dieser Tatsache kann ich nicht immer davonlaufen.« Giulia hatte noch rechtzeitig gemerkt, dass Assumpta dabei war, sich in Vincenzos Gegenwart zu verplappern.
Assumpta begriff, dass sie beinahe eine Dummheit begangen hätte, und senkte beschämt den Kopf. »Es tut mir Leid.«
»Es ist schon gut.« Giulia legte der alten Dienerin die Hand auf die Schulter und lächelte ihr etwas angespannt zu. »Ich werde es schon schaffen. Wenn ich mich recht erinnere, nannte Beppo eine Casa Rivaccio als bevorzugten Aufenthaltsort meines Vaters. Ich werde sehen, ob ich ihn dort finde. Bis dorthin Gott befohlen.«
»Soll ich dich begleiten?« Vincenzo wollte schon aufstehen, doch Giulia schüttelte abwehrend den Kopf. »Geh lieber zu Meister Galilei und frage ihn, ob er heute Abend noch Zeit für mich hat. Ich würde mich gerne von ihm verabschieden.«
Vincenzo strahlte sie an. »Die Galileis wären gewiss traurig, wenn du ihnen keinen Abschiedsbesuch machst.« Giulia zuckte ein wenig unter seinem Blick zusammen, der sie zu streicheln schien, gab aber sein Lächeln zurück und verließ dann beinahe fluchtartig die Wohnung. Manchmal fiel es ihr schwer, Vincenzos Nähe zu ertragen. Seit er seine strikte Zurückhaltung ihr gegenüber aufgegeben hatte, kam sie mit ihren eigenen Gefühlen nicht mehr zurecht und wünschte manchmal, wieder die unterschwellige Verachtung zu spüren, die Vincenzo früher allen Kastraten entgegengebracht hatte. Der neue Zustand verwirrte und ängstigte sie auch ein wenig, denn sie konnte sich nicht vorstellen, wohin die wachsende Vertrautheit noch führen sollte. Mühsam schob sie die düsteren Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die Auseinandersetzung, die vor ihr lag.
Als sie die Richtung einschlug, in der Donatella Rivaccios Kurtisanenhaus lag, kam sie an einigen müßig stehenden Sänftenträgern vorbei, die sie auffordernd anstarrten. Bisher war sie immer zu Fuß gegangen, aber als Sänger in päpstlichen Diensten hatte sie es eigentlich nicht mehr nötig, durch die unrat-bedeckten Gassen zu laufen und sich die Schuhe und Hosenbeine zu beschmutzen. Sie trat auf die Männer zu, die sofort eilfertig den Vorhang aufschlugen und sie baten, Platz zu nehmen.
Der Anführer verbeugte sich tief. »Wohin soll die Reise gehen, Signore?«
»Ich will zur Casa Rivaccio, und zwar hurtig.«
Die Männer packten die Holme ihrer Sänfte und liefen mit wiegenden Schritten los. Giulia lehnte sich gemütlich zurück und dachte sich, dass sie in Zukunft diese Art der Bewegung in den großen Städten bevorzugen würde. Es war auf alle Fälle angenehmer, als sich zwischen Karren, Tragtieren und mit Körben beladenen Bäuerinnen
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