Die Kastratin
Gesicht gegen die kleinen, aber wohlgeformten Brüste der Kurtisane. »Liebste Violetta, bei dir macht es mir Spaß, den Hengst zu spielen. Bei meiner Gemahlin zu Hause fühle ich mich wie ein alter Wallach, der weniger dem eigenen Trieb als der Pflicht gehorchen muss.« Dann stand er auf, reckte sich, als wolle er sein Gemächt noch einmal vor allen zur Schau stellen, und reichte seiner Partnerin eine bestickte Seidenbörse. Diese wog sie kurz in der Hand und gab sie, ohne einen Blick hineinzuwerfen, an eine andere Kurtisane namens Bianca weiter. »Darf ich Euch ein Glas Wein bringen, Erlaucht? Ihr werdet Euch sicher etwas erholen wollen.« Violetta wartete die Antwort nicht ab, sondern sprang auf und eilte nackt, wie sie war, durch den Raum und ließ sich von einer Dienerin ein Glas Wein füllen. Dabei glitt sie an der Hausherrin vorbei und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Der Graf sagte mir, dass es ihm gelungen ist, seine Rückkehr nach Baviera um mehrere Monate zu verschieben.«
»Er bleibt uns also noch länger erhalten.« Donatella Rivaccio atmete sichtlich erleichtert auf.
Violettas Lächeln wurde leicht boshaft. »Er hat mich auch gefragt, ob ich ihn in seine Heimat begleiten würde. Er dürfte mich zwar nicht auf seinen Stammsitz bringen, doch besäße er noch einige andere Güter, wo er mich öfters besuchen könnte.«
Der Kopf der Hauherrin ruckte hoch. »Du wirst doch nicht etwa darauf eingehen?« Auf diese Weise wollte Donatella Rivaccio ihre beste Kurtisane nicht verlieren. Selbst wenn Graf Waldenheim eine anständige Abschlagsumme bezahlte, verdiente sie durch Violettas Liebeskünste weit mehr. Sie beschloss, das Mädchen großzügiger zu entlohnen, und sah deren Augen an, dass Violetta genau darauf abgezielt hatte. »Triff keine schnelle Entscheidung, sondern halte den Grafen noch etwas hin, bis wir uns in Ruhe darüber unterhalten haben. Wenn du klug bist und so weitermachst wie bisher, wirst du es hier bei uns gewiss weiter bringen als in einem düsteren, kalten Haus in Deutschland.«
»Das hoffe ich.« Mit einem übermütigen Lachen lief Violetta zu dem Grafen und setzte ihm das Weinglas an die Lippen.
Langsam begriff Giulia, dass nicht die Kurtisane zu bemitleiden war, sondern der deutsche Graf, der für eine geschäftsmäßig gespielte Zuneigung enorme Summen ausgab, und sie fragte sich, ob alle Männer so waren. Das schlechteste Beispiel bot ihr der eigene Vater, der das Freudenhaus ja kaum mehr verließ. Er schien genau zu wissen, wie wenig sie noch von ihm hielt. Das zeigte seine angespannte Miene, als er auf sie zukam.
Die Hausherrin schob Giulias Vater einen Stuhl hin und winkte Bianca heran. »Bitte serviere unserem Gast noch ein Glas Wein und bringe Girolamo und mir ebenfalls eines mit.« Dann sah sie Giulia mit einem schmelzenden Lächeln an. »Lieber Messer Casamonte, ich freue mich, Euch endlich kennen zu lernen, und hoffe, Euch ab jetzt häufiger bei uns begrüßen zu können.«
Der lauernde Unterton in ihrer Stimme stieß Giulia ab. »Das wird wohl kaum möglich sein. Ich …«
Ihr Vater unterbrach sie mit einer schroffen Handbewegung, zog die Dame an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Giulio, darf ich dir meine Gemahlin Donatella vorstellen? Wir haben vor ein paar Tagen geheiratet.«
Im ersten Moment war Giulia schockiert. Sie und ihr Vater hatten sich wohl sehr stark auseinander gelebt, denn sonst hätte er ihr seine Absicht vorher mitgeteilt und sie zur Hochzeit eingeladen. Oder schämte er sich für seine neue Frau? Dem dümmlichen Stolz nach zu urteilen, der sich auf seinem Gesicht abzeichnete, war das wohl nicht der Fall. Sie musterte Donatella taxierend. Im Gegensatz zu ihrer eigenen Mutter schien sie sich ihres Wertes voll bewusst zu sein. In dieser Ehe hatte die Frau die Hosen an. Donatella würde ihrem Vater keine tränenreichen Szenen machen, sondern ihn sanft, aber bestimmt nach ihrem Willen lenken. Wahrscheinlich würde schon ein Heben ihrer Augenbrauen genügen, um ihn zur Räson zu bringen. Giulia wusste nicht, ob sie ihren Vater beglückwünschen oder bedauern sollte. Vielleicht war beides angebracht.
Für sie aber galt es, endgültig von ihm Abschied zu nehmen und ohne ihn nach Wien zu reisen. Das war die Trennung, die sie seit Jahren herbeigesehnt hatte. Dennoch ärgerte sie sich, auf welch bequeme Weise ihr Vater sich aus seiner Verantwortung für sie gestohlen hatte.
Giulia wünschte ihm und seiner Frau alles Gute für die Zukunft.
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