Die Kastratin
Ärger.«
»Wer?« Giulia verstand im ersten Moment nicht, was Vincenzo damit sagen wollte. »Na wer wohl? Piccolomini natürlich. Der ist doch hierher gekommen, um die Ketzerei in Wien mit Feuer und Schwert auszutreiben. Wenn er dürfte, wie er wollte, würden morgen schon die Scheiterhaufen zu Hunderten brennen.«
Giulia wollte ihm berichten, dass der Herzog von Württemberg und seine Freunde die Lage ganz anders einschätzten, aber da meldete Danilo Koloban sich lautstark zu Wort. »Lieber Bruder, du hast doch sicher nichts dagegen, dass ich Vincenzo zu uns eingeladen habe. Er wohnt derzeit in der Hofburg, doch hat man ihm wegen der vielen Gäste, die derzeit dort beherbergt werden, nur eine grässlich zu nennende Kammer zur Verfügung stellen können.«
»Deine Gäste sind meine Gäste, mein lieber Danilo.« Der Miene des Grafen war nicht anzusehen, ob er darüber erfreut war oder nicht.
Vincenzo führte Giulia ein wenig beiseite. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich hier wohne. Aber nachdem du so getan hast, als könnte ich dich jeden Augenblick auffordern, mir deinen Hintern zum Gebrauch entgegenzustrecken, hielt ich es für das Beste, mir eine eigene Unterkunft zu suchen.«
Sein aggressiver Tonfall schockierte Giulia. Sie sah ihn an und fragte sich, ob das das Ende ihrer Freundschaft war. Als sie das Flackern in seinen Augen bemerkte und der Geruch nach Wein ihr verriet, dass er angetrunken war, schöpfte sie wieder etwas Hoffnung. Möglicherweise meinte er es nicht so, wie er es ausgedrückt hatte. Gleichzeitig fühlte sie sich elend, weil sie ihm nicht sagen durfte, warum sie ihr Zimmer nicht mit ihm teilen konnte. Am liebsten hätte sie Vincenzo bei der Hand genommen und ihm erklärt, wie Leid ihr das alles tat. Aber sie traute sich nicht, weil sie nicht wusste, wie er in seinem betrunkenen Zustand auf ihre Worte reagieren würde. So zwang sie sich zu einem knappen Schulterzucken. »Wie du meinst.« Sie hoffte, dass es kühl genug klang, um ihre Seelenqualen vor ihm zu verbergen, und wunderte sich über die jähe Blässe, die sich über sein Gesicht zog.
Giulia ahnte nicht, dass sich Vincenzos Gedanken weit stärker mit ihr befassten, als es seinen Gefühlen gut tat. Er fühlte sich in einer Weise zu Giulio Casamonte hingezogen, wie er es noch bei keinem Menschen, auch bei keiner Frau erlebt hatte. Immer wieder sagte er sich, dass es unnatürlich und eine Sünde sei, sich nach der Berührung eines Kastraten zu sehnen. Doch er konnte sein Verlangen nicht unterdrücken. In den letzten Tagen hatte er versucht, Giulio bei den hübschen Huren am Schottentor zu vergessen. Doch als er einem der Mädchen in ihre Kammer gefolgt war, hatte er nur diesen Nichtmann vor sich gesehen und es kaum vermocht, den Liebesakt mit Anstand hinter sich zu bringen. Für ihn sah es so aus, als habe ihn die Bekanntschaft mit dem Kastraten für ein intimes Zusammensein mit Frauen verdorben. Dafür hasste er Giulio. Gleichzeitig aber hätte er am liebsten um seine Zuneigung gebettelt. Aber wie sollte er das bei einem Wesen fertig bringen, das ihn kühl wie ein Eisblock musterte und so unsagbar fern von ihm erschien, so unberührbar wie eine heidnische Vestalin.
Da Vincenzo von seinen widersprüchlichen Gefühlen hin- und hergerissen wurde und kein Wort mehr über die Lippen brachte, drehte Giulia ihm den Rücken zu und sah sich nach dem Herzog von Württemberg um, der nicht weit von ihr entfernt am Tisch saß. Als er ihren Blick bemerkte, hob er fragend die Augenbrauen. »Ihr seht aus, als hättet Ihr etwas auf dem Herzen, Casamonte.«
»Ich möchte Euch eigentlich nicht mit meinen Problemen behelligen«, erwiderte Giulia etwas zögerlich. »Aber es scheint mir, als wenn Graf Falkenstein Euer Freund wäre.«
»Freund ist gewiss etwas übertrieben …« Der Herzog machte eine kurze Pause, als müsse er sich seine weiteren Worte genau überlegen, bevor er weitersprach. »Nun, ich möchte sagen, ich komme ganz gut mit ihm aus. Warum fragt Ihr?«
»Mein Quartier in der Hofburg ist nicht besonders angenehm. Um es geradeheraus zu sagen, es ist sogar schrecklich. Nun ist aber mein Diener unterwegs krank geworden und siecht in der kalten und feuchten Kammer vor sich hin. Ich wollte Euch fragen, ob Ihr Euren Einfluss geltend machen könnt, damit ich eine bessere Unterkunft für mich und meine Diener bekomme.«
Sofort bot Graf Koloban ihr seine Gastfreundschaft an. »Meine Einladung für Vincenzo de la Torre erstreckt sich
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