Die Kastratin
tief in ihrem Innern vergraben. Doch je stärker sie versuchte, ihre Gedanken auf andere Dinge zu richten, wie zum Beispiel auf die neuen Lieder, die ihr ein sehr verärgerter Piccolomini durch einen Lakaien hatte überbringen lassen, umso mehr beschäftigte sie sich mit Vincenzo.
Wieder verglich sie ihn mit Paolo Gonzaga und musste zugeben, dass es doch einen großen Unterschied zwischen den beiden Männern gab. Vincenzo war sehr zärtlich mit der Frau umgegangen und hatte nur so mit ihr geschlafen, wie es einem Mann nach den Regeln der heiligen Kirche zukam. Paolo dagegen hatte seine Partnerin wie einen Gegenstand behandelt, sie zu seiner willenlosen Sklavin gemacht und sie auf ekelhafte Weise benutzt. Es war zwar nicht gerade ehrenhaft von Vincenzo gewesen, die Ehefrau seines Feindes aus Rache zu verführen, aber wenigstens hatte er ihr nichts angetan, das sie selbst in der Beichte verschweigen musste. So gesehen, war Vincenzo im Gegensatz zu Paolo Gonzaga ein Ehrenmann.
Giulia schnaubte bei dem Gedanken. Wenn sie so weitermachte, fand sie noch ein Dutzend weiterer Entschuldigungen für Vincenzo und würde zum Schluss noch zu ihm laufen und ihm den bösen Streich verzeihen, den er ihr gespielt hatte. Sie stand auf, schüttelte sich und ging in den großen Raum, aus der Beppos Husten und Assumptas Gejammer unablässig zu ihr hi-nüberdrangen. Auch wenn Assumpta ein Gesicht machte, als benötige ihr Mann jeden Augenblick die letzte Ölung, so hatte Giulia den Eindruck, als sei die Krankheit auf dem Rückmarsch. Beppo wirkte erschöpft und ausgezehrt, aber seine Augen lagen nicht mehr ganz so tief in den Höhlen, und er konnte sich schon ohne Hilfe aufrichten. Noch war die Gefahr nicht vorbei, aber mit Gottes Hilfe würde er genesen. So zeigte sie sich sehr optimistisch und versuchte, die beiden alten Leute so gut zu trösten und aufzumuntern, wie es ihr in ihrem eigenen Kummer möglich war.
Die nächsten Tage verliefen im Gleichmaß der Messen in der Hofkapelle und bei der Kaiserin. Da Giulia keine weiteren Gönner gefunden hatte und wegen des Kriegszugs auch nur wenige private Feste stattfanden, gab es für sie keine weiteren Auftritte in der Stadt. So lernte sie in ihrer freien Zeit eine Reihe neuer Lieder, darunter auch ein paar deutsche, deren Noten ihr Graf Koloban geschickt hatte. Daneben kümmerte sie sich mehr als sonst um Beppo, dem ihr nur teilweise gespielter Optimismus sichtlich gut tat. Nach zwei Wochen brachte die Nachricht von der geplanten Rückkehr des Kaisers etwas Leben in die still gewordene Hofburg. Maximilian hatte einen Teil seiner Truppen in den Grenzbefestigungen zurückgelassen und marschierte mit dem Rest auf Wien zu.
Zum ersten Mal seit der Abreise ihres Gemahls lächelte die Kaiserin wieder gelöst. Sie trieb ihre Kammerfrauen an, alles für seine Ankunft und die Feierlichkeiten zu seinen Ehren vorzube-reiten. Nachdem in den langen ruhigen Tagen ein gewisser Schlendrian Einzug gehalten hatte, kam die Dienerschaft nun kaum zum Verschnaufen. Selbst Assumpta wurde aufgefordert, mit anzupacken. Sie sagte mit einem erleichterten Aufatmen zu, um sich nicht immer nur der Verzweiflung am Bett ihres kranken Mannes hingeben zu müssen.
Die Ankunft des Kaisers erlebte Giulia im Gefolge Marias von Spanien am Stubentor. Maximilian zur Seite ritten die Herzöge Christoph von Württemberg und Albrecht von Baiern, welche symbolisch für die vom Kaiser vereinigten katholischen und protestantischen Reichsstände standen. Diese Geste verfehlte jedoch ihre Wirkung, da der Baier seine Rolle mit einer sichtlich ablehnenden Haltung und einer höchst verärgerten Miene absolvierte.
Giulia empfand Herzog Albrecht von Anfang an als einen recht unangenehmen Herrn, auch wenn sie sich zweifelnd sagte, dass ein Mann, der einen so begnadeten Komponisten wie Orlando di Lasso als Hofkapellmeister nach München berufen hatte, kunstsinnig und großzügig sein musste. In den nächsten Tagen wurde ihr klar, dass ein großer Kunst- und Musikliebhaber wie Albrecht von Baiern gleichzeitig auch ein höchst ungehobelter Patron und ein rücksichtsloser Machtmensch sein konnte. So beleidigte er die evangelischen Gäste des Kaisers, indem er gegen Maximilians Bedenken durchsetzte, dass während seiner Anwesenheit in der Hofburg nur katholische Messen gelesen werden durften.
Giulia verstand nicht, wieso der Kaiser in diesem Punkt nachgegeben hatte, denn der Ärger über diese Zumutung stand deutlich in Maximilians Gesicht
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