Die Kastratin
sich so angriffslustig um, als bedrohe sogar die Laune des Wetters die Sicherheit seines Fürsten. »Man könnte meinen, die Nacht bräche bereits herein. Dabei ist es noch früh am Nachmittag.«
Der Herzog trat ans Fenster und blickte hinaus. Dicht über den Dächern der Stadt zogen pechschwarze Wolken auf und hüllten alles in Dunkelheit. »Es zieht ein schweres Unwetter auf.«
Wie zur Bestätigung seiner Worte brach sich der Donner eines Blitzes, dessen Widerschein die Düsternis durchzuckt hatte, in den engen Gassen und rüttelte an den Fenstern. »Wir sollten in die Hofburg zurückkehren, bevor der Himmel seine Schleusen öffnet«, sagte der Herzog und bot Giulia seine und Fuhrenbergs Begleitung an. Giulia schüttelte abwehrend den Kopf. Der Herzog machte eine Geste, als wolle er ihre Bedenken hinwegfegen. »Selbst Piccolomini wird nichts daran aussetzen können, wenn wir gemeinsam vor den Unbilden der Witterung fliehen.«
Das war so gut wie ein Befehl. Giulia fügte sich dem herzoglichen Willen und folgte den beiden Männern in die Vorhalle. Koloban erwartete sie bereits mit drei Dienern, die ihnen wasserdichte Übermäntel um die Schultern legten. Durch die offene Tür konnte man erkennen, dass es wie aus Kübeln goss. Dankbar nahm Giulia den schweren Filz entgegen und zog die Kapuze zurecht.
Koloban sah skeptisch hinaus. »Es wird immer schlimmer. Ihr solltet besser doch hier bleiben.«
Giulia schüttelte den Kopf. »Wer weiß, wie lange das Unwetter anhält. Ich darf nicht zu spät zur Abendmesse kommen.« Ohne seine Erwiderung abzuwarten trat sie in den Gewittersturm hinaus. Der Herzog und Fuhrenberg folgten ihr auf dem Fuß.
Das Klatschen des Regens machte jedes Gespräch unmöglich. So liefen sie schweigend durch die menschenleeren Gassen, die Mäntel eng an sich gedrückt, und versuchten, den größten Pfützen auszuweichen, die das unebene Kopfsteinpflaster bedeckten. Giulia, die den anderen ein paar Schritte vorausgeeilt war, überkam beim Anblick der leergefegten Gassen ein seltsames Gefühl. Wenn jemand den Herzog töten wollte, musste diesem ein Unwetter wie dieses gerade recht kommen. Kaum war dieser Gedanke durch ihren Kopf geschossen, da hörte sie zwischen zwei Donnerschlägen das Klirren von Metall. Irgendjemand rief: »Der Große in der Mitte! Das muss er sein. Los, auf sie!«
Giulia schrie auf. »Vorsicht, Überfall!« Beinahe im selben Augenblick stürzten vier Männer aus einem Durchgang zwischen zwei Häusern. Zwei griffen den Herzog an, während ein Dritter auf Fuhrenberg losging. Der Letzte kam mit erhobenem Schwert auf Giulia zu.
Sie wich vorsichtig zurück, um nicht zu stolpern und dem Hieb des anderen völlig wehrlos ausgesetzt zu sein. Dabei wünschte sie, sie hätte die Pistole in der Tasche, die jetzt unerreichbar fern in ihrem Zimmer in der Hofburg lag. In einem Akt verzweifelter Selbstverspottung sagte sie sich, dass jene Waffe bei diesem Wetter höchstens als Wurfgeschoss zu brauchen gewesen wäre. Um ihren Angreifer besser im Auge behalten zu können, streifte sie die Kapuze ab. »Das ist doch der Kastrat. Lass den nur ja in Ruhe!«, rief einer der Meuchelmörder ihrem Gegner zu. Dieser wandte sich mit einem verächtlichen Auflachen dem Herzog zu.
Im ersten Impuls wollte Giulia davonlaufen, doch dann gewann ihre Wut die Oberhand. Sie hatte den Württemberger nicht gewarnt, um ihn hier so einfach abstechen zu lassen. Fuhrenberg war so mit seinem Gegner beschäftigt, dass er seinem Herrn nicht zu Hilfe kommen konnte, während der Herzog trotz wilder Gegenwehr von seinen drei Feinden immer weiter gegen eine Hauswand gedrängt wurde. Verzweifelt sah Giulia sich nach etwas um, das sie als Waffe benutzen konnte. Aber in dem schlammigen Wasser, das um ihre Füße gurgelte, war noch nicht einmal ein loser Stein zu sehen.
Das Gewicht des nassen Übermantels brachte sie auf eine Idee. Rasch streifte sie den Umhang ab, warf ihn über den Schwertarm des Mannes, der gerade den tödlichen Stoß gegen den Herzog führen wollte, und zog den schweren Stoff sofort zurück. Der Arm des Meuchelmörders wurde beiseitegerissen, und seine Waffe schlitterte mehrere Schritte über den Boden, bis sie zu Giulias Füßen liegen blieb. Im ersten Schreck hob Giulia das Schwert auf und richtete es gegen seinen Besitzer. Der Mann schien nicht genau zu wissen, was er tun sollte. Obwohl seine Augen förmlich Blitze schleuderten, fürchtete er die Schwertspitze, die auf seinen Hals zielte.
Giulia
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