Die Kastratin
geschrieben. Christoph von Württemberg und seine Freunde saßen am äußersten Ende der Hofkapelle und versuchten, die Änderungen mit einem gewissen Gleichmut hinzunehmen. Falkenstein und sein engster Anhang fehlten hingegen, obwohl sie sich damit dem Wunsch der Kaiserin widersetzten. Giulia war sich sicher, dass der Graf dem Baiernherzog am liebsten jene feuchten Löcher als Quartier zugewiesen hätte, mit denen sie und ihre Begleitung in den ersten Wochen hatten vorlieb nehmen müssen. Doch als einem der bedeutendsten Fürsten im Reich stand Albrecht und seinem Gefolge das herrschaftliche Gästehaus zur Verfügung.
Herzog Albrecht lauschte sichtlich ergriffen der Messe und sah sich dabei mehrmals nach Giulia um. Als das letzte Amen verklungen war, richtete er sich auf und winkte sie zu sich. »Du singst ausgezeichnet, Kastrat. Ich habe nie eine lieblichere Stimme vernommen.«
»Eure Hoheit sind zu gütig.« Giulia verneigte sich nicht zuletzt deshalb so tief, damit er nicht in ihr Gesicht blicken konnte. Er hätte sonst ihre Abneigung gegen ihn erkennen können. »Wenn deine Zeit in Wien um ist, ist es mein Wille, dich in der Kirche Unserer Lieben Frau in meiner Residenzstadt München zu hören.« Albrecht V. ließ keinen Zweifel daran, dass es so zu kommen hatte.
Piccolomini trat von hinten an Giulia heran und schob sie einen Schritt auf den Herzog zu. »Wir werden Eurem Wunsch entsprechen, Eure Hoheit. Die Lerche von Santa Maria Maggiore in Rom wird ihre Stimme zur Lobpreisung Gottes auch in Eurer Stadt erheben.«
Giulia kochte innerlich und fühlte sich gleichzeitig so hilflos wie selten zuvor. Der päpstliche Gesandte behandelte sie mehr und mehr wie sein persönliches Eigentum und hielt es nicht für nötig, sie zu fragen, ob sie mit seinen Anordnungen einverstanden war. Ihr blieb jedoch nichts anderes übrig, als ihren Unmut zu verdrängen und dem Herzog zu erklären, dass sie sich durch seine Einladung sehr geehrt fühle. Dafür wurde ihr huldvoll die Hand zum Kuss gereicht. Giulia musste noch einige Fragen zu ihrem Repertoire über sich ergehen lassen, die sie offensichtlich zur Zufriedenheit des Herrn beantwortete. Als ein Höfling an ihn herantrat, um ihm etwas mitzuteilen, wurde sie mit einer ungeduldigen Handbewegung weggeschickt wie ein lästiger Bittsteller.
Draußen trat Graf Koloban an ihre Seite. »Der Herzog von Württemberg hätte gerne mit Euch gesprochen.« Er sprach so leise, dass ihn niemand außer ihr hören konnte. Erst jetzt erinnerte sich Giulia wieder an das Mordkomplott gegen Herzog Christoph. In ihrem Ärger über Vincenzo hatte sie es ganz vergessen. »Ist im Heerlager etwas vorgefallen?«
»Nicht hier«, beschied Koloban sie und fuhr mit lauterer Stimme fort. »Es wäre mir eine Freude, Euch am Nachmittag in meinem Haus singen zu hören. Seid unbesorgt, Ihr werdet pünktlich zur Abendmesse Ihrer Majestät wieder zurück sein.«
Giulia nahm an, dass er ihr damit die Gelegenheit bieten wollte, ohne Aufsehen mit dem Württemberger zu sprechen. Jetzt, wo sie so direkt mit den Intrigen um den Kaiser konfrontiert wurde, war sie neugierig, ob Koloban und der Herzog etwas herausgefunden hatten.
Da eine von Piccolominis Äußerungen darauf hingedeutet hatte, dass sie am Nachmittag Albrecht von Baiern zur Verfügung stehen sollte, verließ sie die Hofburg schon kurz nach der Morgenmesse und schlenderte durch die Stadt. Ihr Mittagessen nahm sie in einer kleinen Schenke ein, die zwar nur einfache, aber kräftige Kost bot, und trank einen Becher Wein. Man bot ihr zwar auch Bier an, doch dieses Getränk war ihr zu bitter.
Sie betrat das Palais Koloban zur frühestmöglichen Stunde und fand dort einige wenige, aber sorgsam ausgesuchte Gäste vor, unter denen sich allerdings auch Graf Falkenstein befand. Ihr Gastgeber bat sie leise, zuerst einige Lieder für seine Gäste zum Besten zu geben und sich dann für ein kurzes Gespräch bereitzuhalten. Obwohl es keinen Grund dafür gab, klopfte Giulias Herz vor Aufregung bis zum Hals. Sie holte tief Luft und sang die von den Gästen gewünschten Stücke zu deren stürmisch kundgetaner Zufriedenheit. Sogar Falkenstein rang sich ein dürftiges Klatschen ab. Später führte Graf Koloban sie in einen Raum, in dem Christoph von Württemberg bereits auf sie wartete. Neben dem Herzog stand ein kräftiger junger Mann in kriegerischer Tracht, dessen Hand auffällig am Schwertknauf lag. Er musterte Giulia mit einer Mischung aus Misstrauen und Neugier.
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