Die Kastratin
früh zu ihm gehen, wie es die Höflichkeit erlaubt, und ihm meine Bitte vortragen.«
Giulia warf einen Blick auf Beppos Medizinvorräte und fand, dass sie sie vor ihrer Abreise ergänzen musste. Das war sie dem braven Diener schuldig. Assumpta war einfach zu hilflos, und auf fremde Dienstboten wollte sie sich da nicht verlassen. Sie drückte die Alte an sich und küsste sie auf die faltige Wange. »Es wird alles gut gehen. Verlass dich darauf.«
Sie wünschte ihr eine gute Nacht und floh fast in ihre Kammer. Als sie sich an der Tür noch einmal umdrehte, schniefte Assumpta vernehmlich und starrte noch einen Augenblick düster vor sich hin, bevor sie sich schwerfällig erhob, um Giulia beim Auskleiden zu helfen.
Am nächsten Vormittag suchte Giulia als Erstes den Arzt auf und kaufte reichlich Säfte und Salben. Filibert Scharrnagl versprach, mindestens zweimal in der Woche nach Beppo zu sehen, und nickte ihr ermutigend zu. »Als ich gestern Morgen Euren Diener untersuchte, schien es mir, als käme er bald wieder auf die Beine. Ich glaube, Gott oder die Heilige Jungfrau haben doch noch ein Wunder vollbracht.« Giulia lächelte erleichtert. »Wenn der Mensch nicht mehr an Wunder glauben würde, wäre das Leben kalt und leer. Ich danke der Madonna und allen Heiligen für ihre Hilfe. Aber auch Euch bin ich zu großem Dank verpflichtet. Ihr habt viel dazu getan, dass dieses Wunder geschehen konnte.«
Scharrnagl reichte ihr die Hand. »Das war meine Pflicht. Euch wünsche ich eine gute Reise, Casamonte, und viel Erfolg in München. Herzog Albrecht soll ein Kunstkenner sein und sich denen gegenüber, die sein Wohlwollen erringen, mehr als großzügig zeigen.«
»Es würde mich freuen. Doch nun Gott befohlen.« Giulia nahm das Päckchen mit den Arzneien und verließ die kleine, enge Praxis in der Stiegengasse. Als sie sich auf der Straße noch einmal umdrehte, sah sie den Arzt an einem der kleinen Fenster im zweiten Stockwerk stehen und ihr nachsehen. Sie winkte hinauf und kehrte anschließend mit festen Schritten zur Hofburg zurück. Kurz, bevor sie ihre Zimmertür erreichte, kam ihr der Diener entgegen, der ihr sonst die Anweisungen Piccolominis überbracht hatte. Giulia sah ihm mit klopfendem Herzen entgegen, doch der Mann sah sie nur schief an und drückte sich stumm in den nächsten Gang, so als hätte er ein schlechtes Gewissen. Misstrauisch geworden fragte Giulia Assumpta, ob Piccolominis Lakai bei ihnen gewesen sei.
Die Dienerin schüttelte verärgert den Kopf. »Ich habe geglaubt, ein Geräusch an der Tür gehört zu haben, und bin hinausgegangen. Da stand der Mann direkt vor mir und hat Beppo über meine Schulter angestarrt, als wolle er ihn auf der Stelle hinauswerfen. Ich habe ihn noch gefragt, was er hier wolle, aber er hat sich umgedreht und ist davongelaufen.«
Giulia fauchte wie ein kleines Kätzchen. »Piccolomini wollte wohl kontrollieren, ob wir Beppo schon ins Hospiz geschafft haben. Aber ich werde mich von ihm nicht unter Druck setzen lassen. Keine Sorge, gleich nach dem Mittagessen gehe ich los, euch eine Unterkunft zu beschaffen.«
Assumpta und Beppo beruhigten sich sofort wieder und wünschten Giulia viel Erfolg, als sie nach dem Mittagessen zum Palais Koloban aufbrach. Insgeheim hoffte sie, Vincenzo dort anzutreffen, aber er war nirgends zu sehen, und der Diener, der sie zu den Herrschaften brachte, wusste auch nicht zu sagen, wann er wieder auftauchen würde.
Der Graf und die Gräfin begrüßten Giulia gleichzeitig erfreut und ein wenig traurig, da sie wussten, dass sie den Sänger nun für längere Zeit nicht wiedersehen würden.
Nachdem sie ein paar höfliche Floskeln ausgetauscht hatten, trug Giulia ihre Bitte vor. Die Gräfin sah ihren Mann freundlich nicken und lächelte Giulia begütigend zu. »Sorgt Euch nicht weiter. Wir haben ein kleines Häuschen hinten im Garten mit einem Kamin und einer einfachen Rauchküche. Dort können die alten Leutchen wohnen, bis wir sie Euch nachsenden können. Ich sorge dafür, dass sie genügend Feuerholz und Lebensmittel bekommen. Ich will auch Euer Geld nicht. Aber Ihr könnt mir eine andere Bitte erfüllen.«
Giulia küsste ihr die Hand und sah sie fragend an. »Gerne, wenn es in meiner Macht steht.«
»Bitte singt noch einmal für mich. Ich will mich an etwas Schönes erinnern können, wenn ich an Euch denke, Casamonte. Nicht nur an Mord und Totschlag und ähnlich hässliche Dinge.«
»Du tust so, als hätte Casamonte noch nie bei uns
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