Die Kastratin
höchstens anbieten, sie mit in seine Heimat zu nehmen. Von dem Moment an würde sie als Ketzerin gelten und dürfte sich weder im Kirchenstaat noch in einem anderen katholischen Land sehen lassen. Wie sie es auch drehte und wendete, es schien keinen Ausweg aus dieser fatalen Situation zu geben.
Sie musste daran denken, mit welch hoch gesteckten Erwartungen sie nach Wien gekommen war. Es hätte der Beginn einer wirklich großen Karriere sein können, die sie von Fürstenhof zu Fürstenhof geführt hätte. Nun aber war sie in Gefahr, alles zu verlieren. Vincenzo war ihr bereits entglitten, und daran musste sie sich allein die Schuld geben. Nun bräuchte sie ihn dringender denn je. Wie es aussah, hatte sie nur noch die Wahl zwischen dem Gehorsam, den sie dem Papst und damit auch seinem Gesandten schuldig war, und dem Wohlergehen der beiden Menschen, die sie seit ihrer Kindheit geliebt und behütet hatten. Wenn sie Beppo in Vincenzos Obhut zurücklassen konnte, würde noch alles gut werden. Assumpta würde sie niemals alleine ziehen lassen, das wusste sie, aber es würde ihr das Herz zerreißen, Beppo im Ungewissen zurücklassen zu müssen. Und nicht nur ihr. Giulia war klar, dass sie zu so einer grausamen Handlung nicht fähig war. Piccolomini aber würde seine Drohung wahr machen und sie zu einer unerwünschten Person erklären lassen.
Sie erinnerte sich zu gut daran, wie es ihr in Mantua ergangen war, nachdem sie den Wettstreit gegen Giacomo Belloni verloren hatte. Damals hatten ihr selbst die einfachen Bürger die kalte Schulter gezeigt. So würde es auch diesmal sein, nur viel schlimmer. Ohne die Empfehlung einer hoch gestellten Persönlichkeit gab es für sie kein lukratives Engagement, und wenn sie sich Piccolominis Willen und dem des Baiernherzogs widersetzte, würde sie nur noch auf Jahrmärkten singen dürfen oder sogar betteln gehen müssen. Das sagte sie zu Assumpta, nachdem sie ihr von Piccolominis Forderung berichtet hatte.
Die Dienerin starrte sie entsetzt an und schlug das Kreuz. »Heilige Maria! So grausam kann der hohe Herr doch nicht sein. Nein, nein, du musst ihn missverstanden haben. Auf ein paar Tage kommt es doch gewiss nicht an. Schau dir Beppo an. Ihm geht es schon viel besser. Du wirst sehen, in einer Woche springt er wieder herum wie ein junger Mann. Dann mieten wir uns eine Kutsche und fahren in aller Gemütlichkeit nach München.«
Beppo setzte sich auf und nickte bekräftigend. »Assumpta hat Recht. Wir haben deiner Mutter vor Gott geschworen, dich nie im Stich zu lassen, und das werden wir auch nicht. Die Arzneien des Doktors haben mir gut getan, und es geht mir schon sehr viel besser.«
Er hatte tatsächlich große Fortschritte gemacht, doch er sah noch so schwach aus, dass es Giulia schier das Herz zerriss. Aber seine Augen glänzten nicht mehr fiebrig, und sein Atem ging leichter. Es mochte noch Wochen dauern, bis er reisen konnte. Mit einem Mal wusste Giulia, was sie tun musste, auch wenn es ihr nicht gefiel. Sie trat an sein Bett und ergriff Beppos Rechte. »Treuere Menschen als euch hat es niemals gegeben. Ihr lasst mich nicht im Stich und ich euch auch nicht. Ich kann mich dem Ruf nach München nicht verweigern, sonst laufe ich tatsächlich Gefahr, kein Engagement mehr zu bekommen. Dann würdet auch ihr kein Auskommen mehr haben. Das kann ich euch nicht antun. Aber ich weiß, wer uns helfen kann. Ich werde heute noch zum Grafen Koloban gehen und ihn bitten, sich eurer anzunehmen. Bestimmt hat er ein warmes Stübchen für euch, in dem du richtig gesund werden kannst, Beppo, und wenn du wieder reisefähig bist, wird er euch in eine Kutsche setzen und nach München bringen lassen. Sicher wird Herzog Albrecht mir einen Diener oder eine Magd zur Verfügung stellen, der sich um meine Kleider kümmern wird. Ein paar Wochen lang werde ich mir wohl allein zu helfen wissen.«
Ihre Stimme klang nicht so sicher wie ihre Worte, das merkte sie selbst. Aber sie musste daran glauben und so stark sein, wie sie es noch nie gewesen war. Assumpta zog die Schultern hoch, als fröre sie trotz des Feuers im Kamin. »Ich mag nicht unter diese fremden Menschen, die ich nicht verstehe.«
»In Wien gibt es genug Leute, die der italienischen Sprache mächtig sind. Ich lasse euch so viel Geld da, dass ihr angenehm leben und den Arzt bezahlen könnt, und werde Graf Koloban noch eine Summe für eure Reise hinterlassen. Ich bin überzeugt, dass ihr bei seinen Leuten gut aufgehoben seid. Ich werde morgen so
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