Die Kastratin
von den Diskussionen um den Mordanschlag fern gehalten. Dennoch lebte sie in beständiger Angst, der Baiernherzog oder Piccolomini könnte herausfinden, welche Rolle sie bei dem vereitelten Überfall gespielt hatte. Dabei fürchtete sie den päpstlichen Gesandten weniger als den Baiern, denn Piccolomini konnte ja nichts gegen sie unternehmen, ohne sich selbst zu verraten. Dem Baiern aber war zuzutrauen, dass er seine Wut über den Tod seiner Männer und die Folgen an ihr auslassen würde. So war sie erleichtert, als sie von seinem Aufbruch hörte. Ihre Freude über seinen unrühmlichen Abgang hielt jedoch nicht lange an, denn an dem Abend, an dem sie die Neuigkeit erfahren hatte, befahl ihr de Vega, nach der Abendmesse den päpstlichen Gesandten aufzusuchen und sich neue Instruktionen abzuholen.
Der Spanier schien zu glauben, es handele sich um ein paar neue Lieder, die sie der Kaiserin vortragen sollte. Giulia aber schwante nichts Gutes. Als sie mit klopfendem Herzen Piccolominis Gemach betrat, deuteten offene Kisten und Truhen darauf hin, dass auch der päpstliche Gesandte Wien zu verlassen gedachte.
Piccolomini inspizierte den Inhalt mehrerer Truhen, bevor er sich Giulia zuwandte. »Ich muss nach Rom zurück, um Seiner Heiligkeit Bericht zu erstatten«, sagte er wie zu sich selbst. Es klang gleichzeitig wütend und niedergeschlagen.
Dann streifte er Giulia mit einem Blick, wie man ihn einem lästigen Domestiken schenkt, trat ans Fenster und starrte hinaus, als wolle er dem Dunkel der Nacht gewisse Geheimnisse entreißen. »Du wirst in drei Tagen im Gefolge des Herzogs von Baiern nach München reisen. Die Kaiserin wird zwar enttäuscht sein, dich so schnell zu verlieren, doch ich kann es mir nicht leisten, einen treuen Sohn der Kirche wie Albrecht V. zu verärgern.«
Giulia schwankte. Es reizte sie, mit Orlando di Lasso zusammenzuarbeiten, doch sie hatte wenig Lust, sich dafür direkt in die Höhle des Löwen zu wagen. Ihr Verstand sagte ihr, dass München weit weg war und dort wohl keine Gefahr mehr bestand, der Baier könne etwas von der Verbindung zwischen ihr und dem Württemberger erfahren. Ihr Bauch aber suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Wenn sie sich rundheraus weigerte, an den Hof Albrechts zu gehen, machte sie sich verdächtig. Bestenfalls verärgerte sie Piccolomini und damit auch den Papst und brauchte sich im Kirchenstaat nicht mehr blicken zu lassen. Also blieb ihr nur, den Zeitpunkt der Abreise hinauszuschieben, bis sich die Gemüter etwas abgekühlt hatten. »Verzeiht, Monsignore, aber ich kann Wien noch nicht verlassen. Mein Diener ist schwer erkrankt, und es wird nach Ansicht des Arztes noch mindestens zwei Wochen dauern, bis er das Bett verlassen kann. Ich kann erst aufbrechen, wenn er reisefähig ist.«
Piccolomini lief rot an und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Du pflichtvergessene Missgeburt von einem Kastraten wirst mir gehorchen, hast du verstanden? Der Baiernherzog will dich haben, also bekommt er dich auch. Wenn du dich weigerst, werde ich dafür sorgen, dass kein Hund mehr einen Knochen für deinen Gesang gibt.«
»Ich bitte Euch doch nur um ein paar Tage Aufschub.«
»Nein! Du begleitest den Herzog, oder du wirst deinen Ungehorsam bis an das Ende deiner Tage bereuen.«
Giulia war nicht bereit, Beppo und Assumpta im Stich zu lassen. Für einen Moment überlegte sie, sich dem Gesandten zu Füßen zu werfen und ihn anzuflehen, sie bleiben zu lassen. Sein Gesicht verriet ihr aber auch so, dass mit ihm nicht zu reden war. Er sah aus wie ein Mann, der eine bittere Niederlage erfahren hatte und nun nach jedem Strohhalm griff, um sich selbst vor dem Abgrund völligen Scheiterns zu bewahren. Dafür war er offensichtlich bereit, alles und jeden zu opfern, und dazu gehörte auch sie. Sie schluckte die Tränen hinunter, die ihr in die Augen stiegen, und verließ nach einer knappen Verbeugung das Zimmer.
Während sie durch die Korridore der Hofburg eilte, wirbelten ihre Gedanken wie aufgescheuchte Vögel durch den Kopf. Wenn sie allein reiste, ohne Assumpta, würde sie ihre Maske kaum lange aufrechterhalten können, aber sie konnte die Dienerin nicht zwingen, ihren kranken Mann zurückzulassen. Man würde Beppo kurzerhand in eines der überfüllten Armenhospize schaffen und dort sterben lassen. Missachtete sie Piccolominis Befehl, würde er seine Drohung gewiss wahr machen. Für einen Augenblick dachte sie daran, Christoph von Württemberg um Hilfe zu bitten. Der konnte ihr
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