Die Kastratin
einen Heilschlaf gehalten hatten, war in Wirklichkeit schon das Wegdämmern in den Tod gewesen. Giulia ballte die Fäuste und biss die Zähne zusammen, denn sie erinnerte sich noch deutlich an das Zusammentreffen mit dem Lakaien am Vortag. Sie wollte niemand verdächtigen, doch es gab durchaus Menschen, die unter allen Umständen verhindern wollten, dass sie aus Sorge um den Diener zurückblieb.
Dieser Sorge war sie jetzt auf grausame Art enthoben worden. Während sie beruhigend auf Assumpta einredete, ließ sie die Flasche unauffällig in ihrer Tasche verschwinden, in der Hoffnung, dass ihr Fehlen der alten Frau nicht auffiel. Sie wollte sie in dem Glauben lassen, dass Beppo von Gott abberufen worden war und nicht durch eigene Hand oder die eines Mörders umgekommen war. Beides würde sie weit über den Verlust ihres Mannes hinaus unglücklich machen.
Als Assumpta sich wieder halbwegs gefasst hatte und nur noch still weinend auf der Bettkante saß, stand Giulia auf. »Ich werde jetzt einen Priester holen und mich erkundigen, wo wir Beppo begraben können.«
Assumpta richtete sich auf, warf den Kopf hoch und starrte Giulia an, als besänne sie sich darauf, dass das Leben noch Pflichten für sie bereithielt. Sie deutete auf Giulias Hemd, unter dem ihre weiblichen Formen deutlich zu erkennen waren, und schüttelte den Kopf. »So entblößt? Dann schreien es die Spatzen von den Dächern, wer du wirklich bist. Du gehst jetzt in deine Kammer zurück und ziehst dich an. Komm, ich helfe dir. Dann kannst du nach einem Priester rufen.«
Giulia sah an sich herab und huschte erschrocken in ihr Schlafgemach. Assumpta folgte ihr schnaufend und ließ sie nicht eher gehen, als sie mit ihrem Aufzug zufrieden war.
Piccolomini hatte einen Priester zu Gast, der sich sofort bereit erklärte, Giulia beizustehen und die notwendigen Zeremonien abzuhalten. Das und Piccolominis allzu zufrieden wirkende Miene bestärkten Giulias Verdacht, dass Beppo nicht Hand an sich gelegt hatte. Es wäre ihr auch schwer gefallen, mit diesem Glauben zu leben, denn schließlich blieb einem Selbstmörder das Paradies verschlossen, mochte er sonst auch der beste Mensch auf Erden gewesen sein. An und für sich fand Giulia auch dieses Dogma äußerst ungerecht. Warum sollte einem Mann, der immer treu und ehrlich gewesen war und niemand anderem geschadet hatte als sich selbst, der ewigen Verdammnis verfallen sein, während ein Mörder und Räuber, der erst in seiner Todesstunde Reue zeigte, von Gott in Gnaden aufgenommen wurde?
Giulia fragte sich, ob nur Piccolomini oder auch Herzog Albrecht für Beppos Tod verantwortlich waren. Beide hatten nicht wissen können, dass sie ein gutes Arrangement für ihren Diener getroffen hatte, um dem Ruf nach München trotz allen Widerwillens folgen zu können. Lakaien des Baiers hatten erfahren, dass sie sich wegen Beppos Krankheit geweigert hatte, Wien zu verlassen, und konnten ihren Herrn durchaus informiert haben. Für einen Mann wie Albrecht V., der keinen Widerstand vertragen konnte, war ein kranker Diener ein Hindernis, das man leicht beseitigen konnte, und anders als dem päpstlichen Gesandten standen ihm genug Menschen zur Verfügung, die sich nicht scheuten, einen Mord zu begehen.
Um sich nicht in einem Wust von Verdächtigungen zu verlieren, richtete Giulia ihre Gedanken ganz auf das Begräbnis. Es war eine jämmerlich kleine Trauergemeinde, die Beppo fern seiner Heimat zu Grabe trug. Außer ihr und Assumpta waren neben dem Priester nur noch ein Totengräber und dessen Gehilfe anwesend. Am meisten ärgerte sich Giulia über Vincenzos Fernbleiben. Sie hatte noch auf dem Weg zu Piccolomini einen Diener zum Palais Koloban geschickt, um ihm Bescheid zu geben. Doch er war nicht gekommen.
Es regnete, und ein kalter Wind strich durch die Bäume, so dass nasse Blätter herumwirbelten. Der Priester haspelte seine Worte kaum verständlich herunter und lief schon in Richtung Sakristei, bevor er das letzte Amen ausstieß. Giulia wischte sich den Regen und ihre Tränen aus dem Gesicht und drückte die zitternde Assumpta an sich. »Egal, wohin wir reisen werden. In unseren Herzen wird Beppo immer bei uns sein.«
Assumpta fasste ihre Hände, als wären sie ihr einziger Halt. »Beppo und ich waren über zwanzig Jahre zusammen. Ich kann es nicht glauben, dass es jetzt auf einmal zu Ende sein soll.«
Jedes Wort, das Giulia durch den Sinn schoss, erschien ihr in diesem Augenblick unpassend. Sie sah dem Totengräber zu, der
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