Die Kastratin
Knaben gegeben, um ihn für den Plan des Abtes zu gewinnen. Ich habe es nicht gezählt, aber es dürfte eine größere Summe sein, als die meisten in dieser Stadt in ihrem ganzen Leben verdienen können. Damit könnt Ihr unbesorgt verreisen und Euch so lange in der Fremde aufhalten, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
Fassi sah die Münzen mit todwunden Augen an. »Und mein Weib? Soll es einfach hier so liegen bleiben?«
»Ich werde Maria ein Begräbnis zuteil werden lassen, dessen Ihr Euch nicht schämen müsst«, versprach Pater Lorenzo. »Den Nachbarn werde ich erklären, dass sie kurz nach Eurer Abreise starb. Assumpta müsst Ihr mitnehmen, denn sie könnte sich verplappern.«
Fassi teilte diese Ansicht nicht, besaß jedoch nicht mehr die Kraft, sich gegen Pater Lorenzos Drängen zu wehren. »Dann wird Beppo auch mitkommen müssen. Assumpta wird ihren Mann nie allein zurücklassen.«
»Tut, was Ihr für richtig haltet, doch tut es schnell«, flehte ihn der Pater an. »Ich muss jetzt wieder zum Kloster zurück und mich unter die Feiernden mischen. Später werde ich zurückkehren und den Tod Eurer Frau entdecken. Bis zu diesem Augenblick müsst Ihr bereits mehrere Meilen weit gekommen sein.«
Assumpta packte Fassis Ärmel. »Der Pater hat Recht. Es geht um Giulia. Wenn man entdeckt, dass sie es war, die gesungen hat …« Sie ließ den Rest des Satzes ungesagt, doch Fassi verstand sie auch so. »Glaubst du, dass es mir besser ergehen würde? Ich könnte von Glück sagen, wenn man mich vierteilt oder rädert, anstatt mich auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen.«
»Man sollte die Folgen seines Tuns immer vorher bedenken«, erwiderte die Magd kurz angebunden und stapfte aus dem Zimmer, um ihren Mann zu holen, damit er ihr beim Packen half.
Fassi erhob sich und wog das Körbchen unschlüssig in der Hand. Schließlich öffnete er eine der Geldbörsen und ließ die goldenen Dukaten einen nach dem anderen auf das Bett fallen. In dem Moment hatte er den Tod seiner Frau vergessen. Allein in dieser einen Börse war mehr Geld, als er in einem halben Jahrzehnt beim Grafen verdiente. Er versuchte zu schätzen, wie viel es insgesamt war, vermochte es aber nicht zu erraten. »Ich hoffe, dieses Geld vermag Euren Schmerz über den Tod Eurer Frau etwas zu mildern.« Pater Lorenzo hatte sich unter der Tür noch einmal umgedreht, um seinem scheidenden Korepetitor noch ein letztes Wort des Trostes zu sagen. Doch als er den gierigen Ausdruck in Fassis Augen sah, drehte er sich seufzend um und verließ mit einem knappen Gruß das Haus.
Die nächsten Stunden wurden für den Pater zu einer einzigen Qual, denn er musste aller Welt ein fröhliches Gesicht zeigen, Dutzende Glückwünsche entgegennehmen und an etlichen, für seinen Geschmack viel zu ausgelassenen oder gar schlüpfrigen Gesprächen teilnehmen.
Später am Abend bat er die alte Lodrina in Fassis Namen, sich während dessen Abwesenheit um seine Frau zu kümmern, und schleppte sie zu Fassis Haus, wo sie nur noch eine Tote vorfanden.
[home]
Zweiter Teil
Mantua
I .
D as Treppenhaus war düster und schmutzig und stank nach saurem Kohl und ungeleerten Nachttöpfen. Giulia zuckte zurück, als ihr Vater sie auf die schmale, steile Stiege zuschob, aber er blieb unbarmherzig und zwang sie weiterzugehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und an ihren Beinen schienen schwere Gewichte zu zerren, die jeden Schritt zur Qual werden ließen. Sie konnte noch immer nicht begreifen, warum der Vater ihr dies antun wollte. Betteln hatte keinen Sinn, denn in den fünf Jahren, die seit ihrer Flucht aus Saletto vergangen waren, war ihr Vater kein einziges Mal auf ihre Wünsche eingegangen.
In der ersten Zeit hatte sie gehofft, sie würden bald nach Hause zurückkehren, und sie war so naiv gewesen zu glauben, sie müsse sich nur die Haare lang wachsen lassen, um sich wieder in ein Mädchen verwandeln zu können. Ihr Vater aber hatte immer die Angst vor einer Entdeckung vorgeschoben und damit seine Weigerung begründet, in die Heimat zurückzukehren. Auch hatte sie von Anfang an Knabenkleidung tragen müssen, und Assumpta hatte den Befehl bekommen, ihre Locken regelmäßig zu stutzen. Da Giulia es nicht gewagt hatte, mit anderen Jungen zu spielen, war sie überall als Außenseiter angesehen und oft schlecht behandelt worden.
Zum Glück waren sie nie lange genug an einem Ort geblieben, um allzu viel Aufsehen zu erregen. Ihr Vater hatte in so rascher Folge den Wohnsitz
Weitere Kostenlose Bücher