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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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wolle er sie anflehen, ihre Worte zurückzunehmen. Dann schüttelte er sich, schob die Magd zur Seite und stürzte ins Zimmer seiner Frau. Einen Augenblick später drang ein Schrei heraus wie von einem waidwunden Tier. »Egal, was in den letzten Wochen auch geschehen ist. Er hat sie doch geliebt.« Assumptas Worte waren mehr für sich als für Giulia bestimmt.
    Das Mädchen sah erschrocken zu ihr auf. »Wenn ich gewusst hätte, dass es meiner Mutter das Herz bricht, hätte ich nie und nimmer gesungen. Sie hatte Angst davor, dass es mich mein Seelenheil kostet, und bestimmt auch davor, dass man mich erkennt und als Hexe anklagt. Das hat sie in den Tod getrieben. Ach, Assumpta, ich fühle mich so furchtbar schlecht. Ich habe nicht einmal mehr Abschied von ihr nehmen können.«
    Vergebens kämpfte Giulia gegen die Tränen, die ihr in Strömen über die Wangen liefen. Sie drehte sich um und wollte ins Freie hinausstürzen, um mit sich und ihrem Kummer allein zu sein.
    Assumpta hielt sie im letzten Moment zurück. »Um Gottes Willen, bleib hier! Wenn dich jemand so sieht und dich erkennt, ist es aus. Dann wird auch dein Vater furchtbar bestraft.«
    Giulia stockte mitten in der Bewegung und kehrte mit hängenden Schultern zu Assumpta zurück. Die Magd zog sie an sich und hielt sie fest in ihren Armen. »Ihre letzten Gedanken galten dir, mein Kleines, das kannst du mir glauben. Du hast ihren Segen ebenso empfangen, als wärst du in ihren letzten Minuten bei ihr gewesen.« Es war zwar nur ein schwacher Trost, doch Giulia wurde es etwas leichter ums Herz. Trotzdem liefen ihr die Tränen noch lange in Bächen über das Gesicht, während ihr Vater ein Zimmer weiter am Bett seiner toten Frau kniete und mit seinem Schicksal haderte.
    In diese düstere Stimmung platzte ein sehr aufgeregter Pater Lorenzo. Er starrte die schluchzende Giulia im Vorraum an und hörte Fassis Klagen gegen die Grausamkeit Gottes aus dem Zimmer herausdringen. Mit einer seltsamen Scheu legte er das Körbchen mit dem Geld auf einem Bord ab, trat neben Giulias Vater und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Reißt Euch jetzt zusammen, Meister Fassi. Ich bringe schlechte Nachricht.«
    Dieser sah mit wehem Blick zu ihm auf. »Maria ist tot.«
    »Gott sei ihrer armen Seele gnädig.« Pater Lorenzo schlug das Kreuzzeichen und beugte sich dann vor, um der Toten die Augen zuzudrücken. Danach atmete er schwer durch und blickte Fassi beschwörend an. »Es ist schon recht, wenn Ihr um Euer Weib trauert, Meister Girolamo. Doch tut es nur ganz still und lasst Eurem Schmerz zu einer anderen Zeit freie Bahn. Jetzt muss Euer Bestreben den Lebenden gelten, und nicht der Toten.«
    Fassi sah ihn verständnislos an. »Wie meint Ihr das?«
    »Die herrliche Stimme Eurer Tochter hat leider zu großes Aufsehen erregt. Der Abt, die beiden Kardinäle und die anderen Gäste flossen schier über vor Bewunderung.«
    »Dann habt Ihr ja erreicht, was Ihr wolltest, ehrwürdiger Vater«, erwiderte Fassi in einem Ton, als würde ihn das alles nicht das Geringste angehen.
    Pater Lorenzo merkte, dass er deutlicher werden musste. »Della Rocca war so begeistert, dass er den Knaben, der den Solopart sang, kastrieren lassen will, um seine Stimme der Kirche zu erhalten.«
    Fassi starrte ihn zunächst mit großen Augen an und lachte dann bitter auf. »Giulia ist doch ein Mädchen!«
    »Das wissen wir beide, nicht aber der Abt und seine erlauchten Gäste. Für sie ist Giulia ein Knabe, und sie werden alles daransetzen, ihrer habhaft zu werden. Was dann geschehen würde, muss ich Euch nicht sagen. Deswegen müsst Ihr mit Giulia umgehend die Stadt verlassen und Euch in den nächsten Wochen versteckt halten.«
    Es fiel Pater Lorenzo nicht leicht, diesen Vorschlag zu machen, doch es war seiner Ansicht nach die einzige Möglichkeit, die Suche nach dem Sängerknaben im Sand verlaufen zu lassen und dem Kloster einen Skandal zu ersparen, der seine Kreise bis nach Rom in die Umgebung des Papstes ziehen würde.
    Fassi schüttelte wild den Kopf. »Das ist unmöglich. Ich kann Maria nicht einfach wie einen toten Hund zurücklassen. Wer würde sonst für ihre Beerdigung sorgen? Und wie sollte ich auch weggehen können? Der Graf schuldet mir das Gehalt von mehreren Monaten, und was ich noch hatte, musste ich dem Arzt geben. Ihr findet derzeit keinen einzigen Denaro in meinem Haus.«
    Pater Lorenzo nahm das Körbchen mit den Geldbörsen vom Bord und reichte es Fassi. »Das Geld hat man mir für den Vater des

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