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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Gedanken um Verzeihung und flehte sie an, ihn bei dieser Messe nicht zu verlassen.
    Giulia betete ebenfalls zur Madonna. Sie wusste noch immer nicht, wie ihr geschehen war. Einesteils war ihr, als träume sie nur, hier singen zu dürfen. Auf der anderen Seite aber schnürte ihr die Angst, zu versagen, beinahe die Kehle zu. Ludovico hatte den Text und die Melodie wochenlang eingeübt, während sie nur wenige Tage Zeit dazu gehabt hatte. Sie sah zu Pater Lorenzo hinüber, der ihr aufmunternd zulächelte und auf die Stelle zeigte, an der sie stehen sollte.
    Während der neue Prediger das Eingangsgebet sprach und die Menschen an das segensreiche Wirken des Namenspatrons der Abtei erinnerte, sah Giulia sich staunend um. Unter dem üp-pigen Blumenschmuck, den vielfarbenen Girlanden und den Tuchdraperien im Hintergrund wirkte das Innere der Kirche viel heller als sonst. Dazu mochten auch die bunten Gewänder der vielen Gäste beitragen, die wie der Abt auf gepolsterten Stühlen saßen.
    Um sie alle unterzubringen, hatte man die vordersten Bankreihen entfernen müssen. Auch die Mönche waren aus ihrem angestammten Chorgestühl vertrieben worden und hatten mit gewöhnlichen Bänken vorlieb nehmen müssen. So gab es nur ein paar Sitzplätze für die angesehensten Bürger der Stadt und ihre Frauen. Selbst der heute sehr mürrisch dreinschauende Müller, Ludovicos Vater, und der Arzt Bramontone mussten ganz hinten neben dem Eingang stehen bleiben. Die alte Lodrina, die als Amme des jetzigen Grafen etliche Vorrechte genoss, durfte jedoch recht weit vorne neben dem Vorsteher der Bäckerzunft sitzen.
    Als Giulia sie erkannte, drehte sie ihr im ersten Moment aus Angst vor Entdeckung den Rücken zu. Erst ein mahnendes Räuspern ihres Vaters brachte sie dazu, sich normal hinzustellen. Sie versteifte sich und hoffte verzweifelt, dass die Alte sie so, wie sie aussah, nicht erkennen würde. Dann erinnerte sie sich daran, dass Lodrina sehr schlechte Augen hatte. Nun wurde sie ruhiger und bekam gerade noch rechtzeitig mit, dass der Priester seine Rede mit dem Segen beendete und dabei die Arme zum Himmel erhob.
    Das war das Zeichen für ihren Einsatz. Giulia öffnete den Mund, und wie von selbst perlten die Töne glockenrein von ihren Lippen. Die nächsten Stunden erlebte sie wie im Rausch. Obwohl sie nie zuvor mit dem Chor von San Ippolito geprobt hatte, sang sie den Solopart der Palestrina-Messe, als hätte sie ihn tausendfach geübt.
    Kardinal Ferreri saß schräg auf seinem Stuhl, das Kinn auf die Hand gestützt, und lauschte dem Gesang mit entrückter Miene. Der Kardinal Farnese hatte sich vorgebeugt, als könne er so besser hören, und der Abt, der zwischen ihnen saß, vergaß sogar die schöne Kurtisane hinter ihm, die eine Hand auf seiner Schulter ruhen ließ. Della Rocca war es, als wäre ein Engel vom Himmel gestiegen, um seine Messe zu ehren, und als das letzte Amen verklang, sprang er auf und applaudierte stürmisch. »Wundervoll! Wundervoll! Meinen Glückwunsch, Pater Lorenzo. Niemand wird diese Messe je schöner zu Gehör bekommen als wir an diesem gesegneten Tag.«
    »Dem schließe ich mich vorbehaltlos an«, stimmten ihm die beiden Kardinäle beinahe einstimmig zu. Auch die anderen Gäste lobten die Aufführung in den höchsten Tönen. Della Rocca sonnte sich in ihrer Bewunderung, als hätte er die Musik für diese Messe persönlich komponiert. Viele Glückwünsche später erinnerte er sich der eigentlich zu Rühmenden und rief die Chorknaben zu sich.
    Während die anderen Knaben zwar etwas scheu, aber doch neugierig nach vorne eilten, blieb Giulia unsicher stehen. Erst ein energischer Wink della Roccas brachte sie dazu, ihren Platz zu verlassen. »Ihr habt wie die Engel gesungen«, lobte der Abt die Kinder. »Dafür habt ihr eine Belohnung verdient.«
    Er strich allen kurz über das Haar und blickte in erwartungsvolle Augen. Dann befahl er ihnen, ihn zu begleiten, und führte sie mit flatternden Gewändern wie ein Huhn seine Küken auf den freien Platz unterhalb des Klosters, wo bereits die Jahrmarktsbuden aufgebaut worden waren.
    Vor einem Stand mit Süßigkeiten blieb della Rocca stehen, griff mit beiden Händen in einen Korb voller kandierter Früchte und reichte Giulia und den Knaben je eine davon. Während sein Diener bei der alten Standfrau bezahlte, scheuchte der Abt die Chorknaben mit einer wedelnden Handbewegung zu Pater Lorenzo zurück und wandte sich wieder seinen Gästen zu. »Ich bin jedes Mal erstaunt, welche

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