Die Kastratin
einmal abgehängt hatte. Vorsichtig schlich er weiter und behielt dabei jede Ecke und jede Einmündung im Auge. Seine Erziehung und die langjährige Gewohnheit halfen ihm, nach außen hin völlig ruhig und gelassen zu wirken. In seinem Inneren aber tobte ein Sturm.
Die Falle, die ihm der Goldschmied Baldassare Pollai gestellt hatte, war so plump gewesen wie nur irgendeine, und doch war er in seiner Sorglosigkeit wie ein Gimpel hineingetappt. Seine Leidenschaft für Pollais Ehefrau Leticia hatte ihn anscheinend mit völliger Blindheit geschlagen. Es war eine lange, interessante Jagd gewesen, bis er die Dame so weit hatte, dass er ihr seine Liebe gestehen konnte, und es hatte beinahe sein ganzes Können erfordert, sie zu einem geheimen Stelldichein zu überreden. Aber an ihrer Stelle war ein als Leticia verkleideter Bursche erschienen.
Paolo wusste nicht, ob Leticia ihn an ihren Ehemann verraten hatte oder ob dieser von selbst auf den Nebenbuhler aufmerksam geworden war. Es blieb sich im Grunde auch gleich. Statt Leticias inniger Umarmungen hatte er einige rüde Hiebe einstecken müssen und noch von Glück sagen können, dass der Dolch des Kerls ihn verfehlt hatte. Die Angst musste wirklich Flügel verleihen, dachte Paolo mit einem ärgerlichen Auflachen. Sonst wäre er den anderen, von Pollai auf ihn angesetzten Meuchelmördern, nicht so rasch entkommen. Seine Haut war unversehrt, was er von seinem Stolz jedoch nicht sagen konnte.
Es ärgerte ihn maßlos, dass ein einfacher Bürger mit einem nahen Verwandten des regierenden Herzogs ein solches Schauspiel aufzuführen gewagt hatte. Gleichzeitig war ihm klar, dass die Sache noch lange nicht ausgestanden war. Pollai würde gewiss ein Riesengeschrei anstimmen und ihn vor aller Welt bloßstellen. Sein erlauchter Vetter, Guglielmo der Bucklige, würde diese Eskapade vielleicht noch mit einem amüsierten Lächeln zur Kenntnis nehmen. Es graute ihm jedoch vor dem, was seine Mutter und deren sittenstrenge Schwester Coelia dazu sagen würden. Da sein Vater vollständig unter dem Einfluss der beiden Frauen stand, war zu befürchten, dass er seine Drohung, ihn bei einem weiteren Skandal ins Ausland zu schicken, in die Tat umsetzen würde. Dann würde er, immerhin ein Gonzaga, sein Leben jenseits der Grenzen Italiens fortan als kaiserlicher Offizier oder spanischer Seemann fristen müssen.
Während Paolo gegen seine düsteren Gedanken ankämpfte, sah er sich um und versuchte herauszufinden, wo er sich eigentlich befand. Auf seiner Flucht war er in einen ihm fremden Teil der Stadt geraten. Enge, verwinkelte Gassen mit schmalen, schmucklosen Gebäuden, deren Verputz abbröckelte und von deren Balkonen sich Wäscheleinen von Haus zu Haus spannten, zeigten ihm, dass er sich in eines der ärmeren Viertel von Mantua verlaufen hatte.
Er schätzte, dass er sich nordwärts halten musste, um nach Hause zu kommen, und kehrte um. Doch nach wenigen Schritten sah er ein paar seiner Verfolger aus einer Seitengasse herauskommen. Die Kerle hatten ihre Suche nach ihm noch immer nicht aufgegeben. Paolo seufzte enttäuscht und verbarg sich im Portalbereich einer Kirche. Dem Gesang nach, der aus dem Inneren heraus drang, fand eben die Morgenmesse statt.
Paolo grinste freudlos und trat ein. Pollais Leute würden ihn wohl kaum in einer Kirche vermuten. Es waren so viele Menschen anwesend, dass er sich ganz dünn machen musste, um sich an der Wand entlang zu zwängen. Das war nur gut für ihn, denn wenn einer seiner Verfolger den Kopf hineinsteckte, würde er ihn in der Masse wohl kaum entdecken können. Sollten sie Verdacht schöpfen und ihm draußen vor der Kirche auflauern, würden ihm die Kirchgänger genügend Deckung geben, um ungesehen zu verschwinden.
Er nahm sein Barett ab, bekreuzigte sich und benetzte die Stirn mit Weihwasser, bevor er hinter einer Säule stehen blieb, damit er vom Eingang aus nicht mehr gesehen werden konnte. Sein Blick flog forschend über die Gemeinde, ob nicht vielleicht eine Frau anwesend war, die kennen zu lernen sich für ihn lohnte. Dabei streifte er auch kurz die Männer mit ihren biederen Handwerkergesichtern auf dem Chorgestühl und bemerkte verwundert einen jungen Burschen, der in seiner prächtigen Kleidung ebenso wenig hierher passte wie ein Pfau in einen der Hinterhöfe dieser Gasse.
Im selben Augenblick öffnete der Bursche den Mund und begann zu singen. Paolo vergaß seine Verfolger und alle Frauen der Welt, so fasziniert hörte er ihm zu. Der Sänger
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