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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Tochter mit lüsternen Gedanken verfolgt. Du brauchst aber keine Angst zu haben, mein Kätzchen. Sollte Messer Girolamo es tatsächlich wagen, dir zu nahe zu treten, werde ich dich und deine Tugend mit meinem Besen verteidigen.«
    Giulia küsste die Frau, die ihr als einzige Freundin und Vertraute geblieben war, auf die Wange und drückte sie ihrerseits fest an sich. »Du bist so gut, Assumpta. Wenn ich dich nicht hätte, wäre ich todunglücklich.«
    Assumpta tätschelte ihr den Arm. »Wenn ich dich nicht hätte, wäre mein Leben ohne Sinn. Ruhe dich jetzt aus, mein Kätzchen, damit sich deine armen Nerven wieder beruhigen können. Ich gehe jetzt nach unten und sehe zu, ob ich in dieser Kaschemme einen Becher heißer Milch für dich auftreiben kann.«
    Über Giulias Gesicht huschte ein kleines Lächeln. »Danke, Assumpta. Das ist lieb von dir. Übrigens – ich soll am Sonntag die Messe in der Kirche Santa Maria Maddalena singen.«
    Assumptas Miene drückte deutlich aus, was sie von ihrem Dienstherrn hielt. »Dann hat dein Vater ja erreicht, was er wollte. Bei Gott, ein richtiger Mann würde selbst arbeiten, um Geld zu verdienen, und nicht sein einziges Kind einem Leben aussetzen, in dem ihm ständig der Scheiterhaufen droht.«
    Trotz des kaum überwundenen Schreckens und der Abscheu, die immer noch in ihr schwang, fieberte Giulia ihrem Auftritt in Don Giantolos Kirche entgegen. Die Musik war zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden und stellte die einzige Freude dar, die ihr seit ihrer Flucht aus Saletto geblieben war. Wenn sie sang, schwebte sie in anderen Sphären, in einem Himmel, den ihr niemand nehmen konnte. Sie vergaß dann ihren Kummer, ihre Ängste und ihre gesamte Umgebung.
    Als sie und ihr Vater am Sonntag die Sakristei der Kirche betraten, wartete Don Giantolo mit den Mitgliedern seines Chores auf sie. Es handelte sich um biedere Männer, die mit ihrem Handwerkszeug oder dem Federkiel in der Hand mehr anfangen konnten als mit Notenblättern und Musikinstrumenten. Sie waren sichtlich nervös, mit einem professionellen Sänger und dazu noch mit einem Kastraten zusammen auftreten zu müssen.
    Abschätzige Blicke streiften Giulia, die an diesem Tag zum ersten Mal das prächtige Gewand trug, das ihr Vater für solche Anlässe hatte anfertigen lassen. Sie zupfte unsicher an den schneeweiß gefütterten Pluderärmeln ihres himmelblauen Wamses und zog es nach vorne, um ihren Busen noch besser zu kaschieren. Es war eigentlich unnötig, denn Assumpta hatte ihr die Brust wieder so geschickt flach geschnürt, dass die Binde sie nicht beim Luftholen behinderte und doch die zunehmende Fülle verbarg. Die Angst vor der Entlarvung saß jedoch wie ein Dämon in Giulias Nacken.
    Es wurde jedoch bei weitem nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Die von Don Giantolo ausgesuchten Lieder waren einfach, und Giulia kannte sie alle. Als sie ihren Platz im Chorgestühl einnahm, wurde ihr klar, dass der Priester die Mitwirkung eines »berühmten Kastratensängers« bei der heutigen Messe fleißig in seiner Gemeinde verbreitet hatte. Die Kirche war brechend voll von Menschen, die nichts anderes zu tun hatten, als sie mit aufgerissenen Augen und weit geöffneten Mündern anzustarren.
    Plötzlich bekam Giulia es wieder mit der Angst zu tun. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und davongerannt. Um sich zu beruhigen, schloss sie die Augen, versuchte, die Menschenmasse um sich zu vergessen, und konzentrierte sich auf ihren ersten Text. Als sie sich wieder in der Gewalt hatte, hob sie ihren Blick über die Menschen hinweg und betrachtete das karge Kirchenschiff von Santa Maria Maddalena. Es war wirklich eine Kirche der Armen, der bis auf einen recht hübschen Altaraufsatz jeglicher Schmuck fehlte. Giulia blickte auf das lebensecht erscheinende Abbild der Madonna mit dem Jesuskind, die von der heiligen Maria Magdalena und der heiligen Anna flankiert wurden, und sprach ein kurzes, lautloses Gebet.
    Aufflackernde Unruhe im Kirchenschiff rief sie wieder in die Gegenwart zurück. Sie sah Don Giantolo vor den Altar treten. In dem sauberen Priesterornat wirkte er nicht mehr wie ein schmuddeliger, alter Mann, sondern wie der ehrwürdige Vater einer gläubigen Gemeinde. Noch während sich Giulia über diese Verwandlung wunderte, schlug der Organist die ersten Töne an, und sie glitt tief in die Welt der Musik hinein.

III .
    P aolo Gonzaga warf einen gehetzten Blick nach hinten und nahm erleichtert wahr, dass er seine Verfolger zunächst

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