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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Mutter zu überzeugen. Sein Vater und seine Tante wirkten noch etwas misstrauisch, wollten aber abwarten, ob seine Behauptung der Wahrheit entsprach, ehe sie die Drohungen wahr machten, die sie vor einigen Wochen anlässlich einer anderen ärgerlichen Sache gegen ihn ausgesprochen hatten.

V .
    G iulia kehrte als Opfer widerstrebender Gefühle in ihre Herberge zurück. Ihre Gedanken drehten sich noch immer um den freundlichen, jungen Edelmann, der so großen Eindruck auf sie gemacht hatte. Sie konnte sich noch genau an den Klang seiner Stimme erinnern, ebenso an seine Augen und die Form seines Mundes, und sie freute sich schon darauf, ihn am Abend wiederzusehen.
    Assumpta bemerkte sofort, dass etwas Ungewöhnliches vorgefallen war. »Hattest du Erfolg mit der Messe?«
    Giulia nickte strahlend. »Es war wirklich wunderschön, obwohl die Kirche sehr ärmlich wirkte und der Chor besser in eine kleine Dorfkapelle gepasst hätte.«
    »Es heißt nicht umsonst, dass ein Diamant unter Glasscherben am hellsten strahlt.« Assumpta nickte erfreut, war aber immer noch nicht ganz mit Giulias Antwort zufrieden. »Verschweigst du mir nicht etwas?«
    Giulia lachte beinahe übermütig. »Ach, Assumpta, du merkst auch alles. Stell dir vor, wir sind in das Haus des Herrn Batista Gonzaga geladen worden. Ich soll schon heute Abend dort singen.«
    Assumpta starrte sie ungläubig an. »Batista Gonzaga? Soviel ich gehört habe, gibt es einen Onkel zweiten Grades des regierenden Herzogs von Mantua, der so heißt. Wenn das dein Auftraggeber ist, dann hättest du auf Anhieb Zutritt zu den höchsten Kreisen der Stadt gefunden.«
    »Ein junger Herr hat uns angesprochen, der von sich behauptet hat, er sei ein Vetter Herzogs Guglielmos. Er sah wirklich hoheitsvoll aus und hat mich gebeten, im Palazzo seines Vaters zu singen.«
    Assumpta war sichtlich beeindruckt, verwandelte sich aber sofort wieder in die Dienerin, die ihre Augen überall hat. »Dann zieh sofort deine Kleidung aus, damit ich sie ausbürsten kann. Wenn du Erfolg haben willst, musst du heute Abend einen besonders guten Eindruck machen.«
    »Dafür muss ich besonders gut singen«, wandte Giulia lächelnd ein. Dann musste sie wieder an Paolo Gonzaga denken und spürte, wie sie rot wurde. Sofort schalt sie sich eine Närrin. Für den jungen Mann war sie ein Kastrat, ein Wesen, an dem er nur wegen seines Gesangs interessiert war, aber kein Mensch aus Fleisch und Blut. Irgendwie schmerzte sie dieser Gedanke.
    Gleichzeitig war sie jedoch auch froh um die Kluft, die ihre Maskerade zwischen ihr und dem faszinierenden jungen Edelmann schuf. Sie durfte sich nicht von ihren Gefühlen leiten lassen. Schließlich hatte sie sich viele Jahre lang darauf vorbereitet, als Kastrat aufzutreten, um ganz für ihren Gesang und die Musik leben zu können. Wenn sie sich Paolo als Mädchen zu erkennen geben würde, gäbe es ohnehin kein dauerhaftes Glück für sie an seiner Seite, dafür war der Standesunterschied zwischen einem Verwandten des Herzogs von Mantua und der Tochter eines ehemaligen Kapellmeisters einfach zu groß.
    Als Giulia bemerkte, wohin ihre Gedanken sich versteigen wollten, fragte sie sich beklommen, ob sie in Zukunft jeder gut aussehende junge Mann so in Verwirrung stürzen würde. Für einen Augenblick überlegte sie, Assumpta um Rat zu fragen. Doch sie wollte der alten Frau nicht noch mehr Sorgen bereiten und schämte sich auch für ihren Gefühlsüberschwang.
    Um sich abzulenken, nahm sie einige Notenblätter zur Hand und ging die Lieder noch einmal durch, die sie am Abend vortragen wollte. Es war ein längerer Choral dabei, der große Ansprüche an ihre Stimme stellte. Er stammte von Baldassare Donato, dem Maestro di Capella von San Marco in Venedig. Giulia schätzte diesen Komponisten bei weitem nicht so sehr wie Giovanni da Palestrina. Da Donato jedoch sehr berühmt war, gehörte es zum guten Ton, wenigstens eines seiner Werke im Repertoire zu haben. Gerade sie, die erst am Anfang ihrer Karriere stand, konnte es sich nicht leisten, darauf zu verzichten.
    Die Konzentration auf die Notenblätter half Giulia, ihre Gedanken wieder unter Kontrolle zu bringen. Nach einem leichten Mittagessen, das Assumpta gegen den erbitterten Widerstand der Herbergswirtin selbst zubereitet hatte, legte sie sich ein wenig hin und stand am Abend erfrischt auf. Assumpta half ihr beim Ankleiden und achtete darauf, dass das sorgfältig gebügelte Gewand nicht zerknitterte. Nachdem sie zum Schluss noch ein

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