Die Kastratin
so ein guter Sänger seid, wie mein nichtsnutziger Neffe behauptet.«
Das klang nicht gerade ermunternd. Giulia nahm allen Mut zusammen und verbeugte sich vor der Frau. »Es ist mir eine große Ehre, vor Euren erlauchten Ohren meine Kunst zum Besten geben zu dürfen, und ich hoffe, Euer Wohlgefallen zu erlangen.« Sie sprach in dem feinen Florentiner Dialekt, den ihr Vater für den Umgang mit höher gestellten Persönlichkeiten als unabdingbar erachtete. Er hatte sich große Mühe gegeben, ihn selbst zu lernen und ihn ihr beizubringen. Zufrieden stellte Giulia fest, dass ihre Worte Eindruck machten, und erklärte, dass sie mit dem Ave-Maria beginnen würde.
Batista Gonzaga und die beiden Frauen wirkten zunächst noch sehr skeptisch, doch das änderte sich bereits bei der ersten Strophe. Nach dem gesungenen Gebet klang schon etwas zöger-licher Beifall auf. Giulia bedankte sich mit einer übertriebenen Verbeugung und stimmte anschließend Baldassare Donatos Choral an. Das Werk forderte ihr alles Können ab, war aber auch die beste Methode, sich der Anziehung des lächelnd am Stuhl seiner Tante lehnenden Paolo Gonzaga zu entziehen. Es gelang ihr besser als erwartet, und sie spürte trotz der herrschenden Anspannung im Raum ungeheure Freude, vor Publikum singen zu dürfen. Davon hatte sie in Saletto immer geträumt, und in den schlimmen Jahren danach war ihr diese Aussicht stets wie ein Licht in stockfinsterer Nacht erschienen.
Als Giulia mit einem letzten, klaren Ton endete, war die Begeisterung der Zuhörer nicht zu übersehen. Batista Gonzaga klopfte seinem Sohn anerkennend auf die Schulter, und seine Frau atmete sichtlich auf, als hätte sich eben ein schlimmer Verdacht verflüchtigt. Die Dame Coelia erhob sich sogar von ihrem Stuhl und reichte Giulia die Hand zum Kuss. »Es hat uns ausgezeichnet gefallen. Heute habe ich keine Zeit mehr, um weitere Proben deiner Kunst zu hören. Doch du wirst am Sonntag in unserer Familienkirche die Messe singen.«
»Mit dem größten Vergnügen.« Giulia verbeugte sich dankbar und bemerkte dabei, dass Paolo ihr zuzwinkerte. »Es handelt sich um die Kirche des heiligen Paolo, meines Namenspatrons«, erklärte er ihr. »Das ist ein weitaus besserer Rahmen für Eure Kunst als die Vorstadtkirche, in der Ihr heute Morgen gesungen habt.«
Paolo wandte sich an seinen Vater und fragte ihn, ob er nicht auch unter der Woche Verwendung für den jungen Kastraten hätte. »Allein von den Auftritten in Kirchen kann ein Sänger wie Giulio Casamonte wohl kaum standesgemäß leben.«
Batista Gonzaga überlegte kurz und winkte Giulia näher. »Hinterlasse beim Pförtner deine Adresse, damit ich jemand zu dir schicken kann, wenn du benötigt werden solltest.«
Es klang eher wie eine Konzession an seinen Sohn. Giulia wusste daher nicht so recht, was sie von diesem halben Versprechen halten sollte. Angesichts der strengen Probe, der man sie unterworfen hatte und die sie glücklich überstanden zu haben schien, war ihr das jedoch auch nicht so wichtig. Für einen Augenblick fragte sie sich, ob sie nun um Lohn für ihre Dienste bitten durfte, wusste aber nicht, wie sie das anfangen sollte. Zu ihrem Glück rief Coelia Morri ihre Kammerfrau und wies sie an, Giulia eine bestickte Seidenbörse zu überreichen.
Giulia verbeugte sich noch einmal vor den Herrschaften und folgte dem Diener, der geräuschlos in den Raum getreten war und ihr mit einer schroffen Geste befahl, ihm zu folgen. Er brachte sie zu der Pforte, an der ihr Vater schon ungeduldig auf sie wartete, und zeigte ihnen deutlich, dass er froh war, die ungebetenen Gäste wieder loszuwerden. Kaum hatte sich die schwere Tür hinter ihnen geschlossen, ließ Girolamo Casamonte seinem Unmut freien Lauf. »So ein hochnäsiges, unfreundliches Pack. Wie kann eine so vornehme Familie wie die Gonzagas sich so etwas nur als Dienstboten halten? Ich musste die ganze Zeit wie ein lästiger Bittsteller in einer winzigen, dunklen Kammer warten, und man hat mir nicht einmal eine Erfrischung gereicht.«
Giulia erinnerte sich daran, die beiden Gonzagas und die Damen trinken gesehen zu haben. Doch man hatte ihr nicht einmal ein Glas Wasser angeboten, wie es die Höflichkeit eigentlich erfordert hätte. Ihr Vater schimpfte unterdessen weiter. »Hat man dir wenigstens Geld gegeben, oder waren die Herrschaften auch darüber erhaben?«
Giulia reichte ihm eilig die Börse. Er wog sie prüfend in der Hand, da es bereits zu dunkel war, um die Münzen zählen zu
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