Die Kastratin
können, und brummte nur etwas vor sich hin. Das Zählen holte er später in der Herberge nach und war danach sichtlich erleichtert. »Knauserig waren die Leute nicht. Du wirst dich jedoch arg anstrengen müssen, wenn du genug verdienen willst.«
Die unverhohlene Gier ihres Vaters stimmte Giulia traurig, und es kränkte sie, kein Wort des Lobes von ihm zu hören. Er hatte sich nicht einmal dafür interessiert, wie es ihr bei den hohen Herrschaften ergangen war. Als er nicht nachließ, an seiner Behandlung im Hause Gonzaga herumzumäkeln, fiel ihr etwas ein, was seinen Gedanken eine andere Richtung geben konnte. »Ich vergaß, dir zu sagen, dass ich am nächsten Sonntag in der Kirche San Paolo singen werde.«
Girolamo Casamontes mürrischer Gesichtsausdruck wich einer Miene des Triumphs. »Ich weiß gar nicht, warum du so betreten dreinschaust, Giulio. Habe ich dir nicht gesagt, dass die Gonzagas uns den Eintritt in die vornehme Welt öffnen werden? Es freut mich, dass du meine Lehren beherzigt und das nächste Engagement an Land gezogen hast. Du wirst sehen, Mantua wird uns genau den Erfolg bringen, den ich mir von dieser Stadt erhofft habe.«
Giulia klärte ihn nicht darüber auf, dass sie selbst gar nichts zu dem neuen Engagement beigetragen hatte. Es hätte ihn nur zu Vorwürfen gereizt. Stattdessen ließ sie ihre beiden Auftritte noch einmal an ihrem innern Auge vorbeiziehen und spürte eine wilde Vorfreude, bald schon wieder singen zu dürfen. Ihr war egal, wie viel Geld sie dabei verdiente. Hauptsache, es war genug, um davon leben zu können. Für sie zählten allein der Beifall und die Begeisterung ihrer Zuhörer. Damit waren die armen Leute in Don Giantolos Kirche allerdings viel freigebiger gewesen als Batista Gonzagas Familie. Doch wenn sie auf Dauer Erfolg haben wollte, musste sie die vornehme Gesellschaft überzeugen.
VI .
A m nächsten Tag verschwand Giulias Vater bereits vormittags und war bis zum Abend nicht zurückgekehrt. Giulia hatte die freie Zeit genutzt, um das letzte der neuen Lieder einzustudieren, die ihr der Vater besorgt hatte. Langsam wurde es Zeit, dass er sich bei Komponisten hier in Mantua umsah, auch wenn diese sich ihre Noten recht teuer bezahlen ließen.
Kurz vor der Dämmerung klopfte es an ihre Zimmertür. Als Giulia öffnete, stand die Wirtsmagd davor und zeigte aufgeregt nach unten. »Unten im Schankraum steht ein Lakai, der Euch sprechen will«, flüsterte sie fast ehrfurchtsvoll. »Mich?«, fragte Giulia erstaunt. Dann erinnerte sie sich an die Vereinbarung mit Messer Batista Gonzaga und musste erst einmal tief durchatmen. »Oh, ja! Ich weiß schon. Geh und sage ihm, ich käme gleich.«
Sie rückte sich vor dem kleinen Spiegel die Weste zurecht, fuhr sich noch einmal über die Haare und stieg dann scheinbar gelassen die Treppe hinab. Die Gaststube war um diese Tageszeit bereits ziemlich voll, doch Giulia brauchte nicht lange zu suchen. Neben der Theke stand ein Diener in Livree und betrachtete naserümpfend die Gäste, die ihn ihrerseits ungeniert anstarrten.
Giulia trat auf ihn zu. »Du willst mich sprechen?«
»Ihr seid Signore Casamonte?« Der Mann schien verblüfft zu sein, einen so jungen Menschen vor sich zu sehen. »Ich bin der Sänger Giulio Casamonte.« Giulia wunderte sich selbst, wie leicht ihr diese Bezeichnung über die Lippen glitt. »Mein Herr, der ehrenwerte Cesare Rioli wünscht, dass Ihr bei seinem heutigen Abendempfang singt. Ich soll Euch zu ihm geleiten. Beeilt Euch bitte, denn mein Herr wartet nicht gerne.«
Dem Lakai gefiel es offensichtlich wenig, dass Giulia ihn wie einen Bediensteten behandelte, während er sich ihr gegenüber der gebotenen Höflichkeit befleißigen musste. Ein Kastrat schien in seinen Augen noch unter dem Bäcker und der Frau vom Blumenmarkt zu rangieren, welche seinen Herrn belieferten und dabei Kratzfüße vor dem gehobenen Personal vollführten.
Giulia freute sich über die Einladung, war aber von der Schnelligkeit, mit der sich ihr Auftritt bei den Gonzagas herumgesprochen hatte, mehr als überrascht. Der Name Rioli sagte ihr nichts. Der Wappenadler auf der Livree des Dieners wies jedoch darauf hin, dass sein Herr entweder aus sehr altem Adel stammen musste oder aus sehr jungem. Der Reichsadler war lange nicht mehr verliehen worden, bis Kaiser Ferdinand in Wien begonnen hatte, Adligen, die sich große Verdienste für ihn und das Reich erworben hatten, zu gestatten, ihn im Wappen zu führen. So oder so hatte Giulia es mit
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