Die Kastratin
mit seiner Kleidung, sondern trug ein eher schlicht gehaltenes graues Wams und graue Hosen. Das Barett, das er in Händen hielt, und die Feder, die es schmückte, waren im gleichen Farbton gehalten.
Im Gegensatz zu Belloni wirkte der zweite Kastrat wie ein Vulkan vor dem Ausbruch. Sebaldi sah man den Verschnittenen nicht auf Anhieb an. Er hatte ein scharf geschnittenes Gesicht, wohlgeformte, breite Schultern, schmale Hüften und lange, dünne Beine. Sein grünes Wams und die roten Hosen waren von übertrieben engem Schnitt, und die provozierend herausgeputzte Schamkapsel wirkte in Giulias Augen einfach lächerlich. Sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass Sebaldi verzweifelt versuchte, wie ein normaler Mann zu erscheinen. Vielleicht war er einer jener Kastraten, von denen Paolo Gonzaga behauptet hatte, sie würden noch ein gewisses Vergnügen bei Frauen empfinden. Bei dem Gedanken an ihren einstigen Peiniger sah sie sich rasch nach dem Herzog um. Zu ihrer Erleichterung gab es kaum eine Familienähnlichkeit zwischen ihm und Paolo.
Ein zweites Mal störte ein Räuspern sie auf. Ein anderer Höfling, den sie bis jetzt nicht wahrgenommen hatte, trat vor und winkte sie und die beiden Kastraten zu sich. »Seine durchlauchtigste Hoheit Guglielmo Gonzaga, Herzog von Mantua und Markgraf von Montferrat, erweist euch heute die Gnade, vor ihm singen zu dürfen. Der Beste von euch erhält den Lorbeer des Siegers, und es wird ihm erlaubt, als Kastratensänger dem Chor der Hofkapelle zu Mantua anzugehören.« Der Mann schwieg für einen Moment, um seine Worte wirken zu lassen. Dann fragte er: »Euch sind die Regeln bekannt?«
Obwohl Giulia und die beiden Kastraten nickten, setzte der Höfling seine Ansprache fort. »Jeder von euch wird drei Musikstücke vortragen, deren Gesamtdauer durch diese Sanduhr begrenzt wird.«
Er zeigte dabei auf ein kleines Tischen, das eben von zwei Dienern hereingetragen wurde. Darauf stand eine Sanduhr, die von einem kunstvoll gestalteten, goldenen Engel gehalten wurde. »Wer es wünscht, wird von den ehrengeachteten Musiciste der herzoglichen Kapelle begleitet werden«, setzte er hinzu.
Belloni schüttelte sofort den Kopf. »Ich verzichte darauf.«
Giulia gefiel der kurze Blick nicht, den die Musiker mit Sebaldi wechselten, daher verzichtete sie ebenfalls.
Sebaldi trat vor, verbeugte sich vor Guglielmo Gonzaga und beinahe ebenso tief vor den Musikern. »Mir wäre es eine Freude, seine durchlauchtigste Hoheit zusammen mit den ehrenwerten Herren Hofmusikern unterhalten zu können.«
Giulia sah Sebaldi an, dass er um jeden Preis zu gewinnen gedachte, und ertappte sich dabei, Belloni den Sieg zu wünschen. Der Höfling ließ sich jetzt von einem Diener ein Körbchen aus Silberfiligran reichen, in dem drei goldene Medaillen lagen, und kam damit auf Belloni zu. »Ihr seid der älteste und bekannteste Kastrat, den Seine Durchlaucht eingeladen hat. Zieht bitte ein Los, um Euren Platz in der Reihenfolge zu bestimmen.«
Belloni tat es mit einer auffälligen Gleichgültigkeit, als sei es vollkommen unwichtig, wann er singen sollte. Er sah nicht einmal auf die Zahl, sondern lächelte Giulia aufmunternd zu. Sebaldi hingegen konnte seine Erregung kaum verbergen und hob das Goldplättchen sofort in die Höhe. »Ich habe die Zwei.«
»Ihr werdet also zwischen Euren Konkurrenten singen«, beschied ihn der Höfling und streckte Giulia das Körbchen entgegen. Sie nahm die verbliebene Münze heraus und sah auf die Zahl. Es war eine Eins. Sie musste also als Erste antreten. Das war nicht günstig für sie, da die beiden anderen ihren eigenen Vortrag mit der Brillanz ihrer Leistungen vergessen machen konnten. Da sie jedoch ohnehin nicht mit einem Sieg rechnete, ließ sie sich dadurch nicht entmutigen, sondern trat vor, verneigte sich vor dem Herzog und der Dame und nahm die Haltung ein, mit der sie ihre Auftritte einzuleiten pflegte.
Giulia hatte für diesen Wettbewerb ein Stück aus der Palestrina-Messe gewählt, da sie dieses Werk am besten beherrschte, sowie ihr geliebtes Chanson von Nicolas Gombert. Als Drittes wollte sie doch eine ihrer eigenen Kompositionen darbringen. Sie mochte dem erlesenen Geschmack des Herzogs vielleicht zu schlicht erscheinen, war jedoch das einzige Lied, mit dem sie die gesamte Spannbreite ihrer Stimme zur Geltung bringen konnte. Sie sah, wie Guglielmo Gonzaga ein Handzeichen gab und sich die Camera degli Sposi mit Höflingen füllte. Als die Türen wieder geschlossen
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