Die Kastratin
Eure Technik ist nicht besonders ausgefeilt. Ihr solltet in der nächsten Zeit etwas weniger auftreten, als vielmehr Euer Können vervollkommnen.«
Giulia nahm die in ihren Augen sehr treffende Analyse mit einer gewissen Überraschung zur Kenntnis. Ähnlich wie Belloni hatte sich schon vor mehreren Jahren ein junger Edelmann geäußert, von dem sie nur noch den Vornamen wusste. Doch selbst wenn sie das Urteil des Kastraten ihrem Vater weitergab, würde er ihr wohl kaum die Gelegenheit geben, sich weiterzubilden. Wenn sie nicht auftreten konnte, floss auch kein Geld, und darauf würde ihr Vater sich niemals einlassen. Ein Teil dieser bitteren Gedanken mussten sich auf ihrem Gesicht widerspiegeln, denn in Bellonis Miene zeichnete sich Mitleid ab. Bevor der Kastrat jedoch etwas sagen konnte, hatte sich Giulia wieder in der Gewalt. »Ihr wart wirklich unvergleichlich, Messer Belloni. Ich wünsche Euch von ganzem Herzen den Sieg.«
Der Kastrat lächelte bitter. »Du tust es. Andere hingegen würden mich am liebsten auf dem Grunde des Mincio sehen.« Giulia brauchte seinem Blick nicht zu folgen, um zu wissen, dass er Sebaldi damit meinte. Sie ging jedoch nicht direkt darauf ein. »Ihr seid sehr freundlich zu mir, obwohl ich doch eine Konkurrenz für Euch sein könnte, wenn sich mein Können verbessert.«
»Ich tue es, weil Ihr die Stimme dazu habt, Casamonte, und weil Ihr mir sympathisch seid, fast wie ein Sohn, den ich niemals haben werde. Man hat uns in unserer Kindheit zu einem Opfer gezwungen, dem sich wohl keiner von uns beiden freiwillig unterzogen hätte. Oft, wenn ich eine schöne Frau vor mir sehe, frage ich mich, wie es wäre, ein Mann zu sein und sie besitzen zu können.« Er seufzte und schüttelte in schmerzvoller Entsagung den Kopf. »Es gibt nur eines, was uns unseren Verzicht halbwegs erträglich machen kann, und das sind Gold und Ansehen. Aber das ist kein vollwertiger Ersatz für unseren Verlust. Obwohl ich nun reich bin, wünsche ich mir oft, wie mein Vater mit geschwärztem Gesicht am Kohlenmeiler zu stehen und zu Hause ein strammes Weib zu wissen, das in der Nacht die Schenkel für mich öffnet, und statt des verdorrten Dingleins zwischen meinen Schenkeln einen mächtigen Riemen zu tragen, der sie vor Lust aufstöhnen lässt.«
Giulia schauderte, als sie die Zerrissenheit erkannte, unter der Belloni litt. War sie das Geheimnis seiner unvergleichlichen Stimme? Gleichzeitig schockierten sie seine unverblümten Worte. Dann erinnerte sie sich jedoch an etliche Gespräche unter Männern, denen sie als unfreiwillige Zuhörerin gefolgt war. Selbst adlige Herren priesen die Freuden des Bettes und die Stellen der Frauen, die ihnen Lust bereiteten, meist in sehr derben Ausdrücken, und von Assumpta hatte sie erfahren, dass sich Frauen, wenn sie unter sich waren, in diesen Dingen auch keine Zügel anlegten. Warum sollte es bei Kastraten, die ja alle das gleiche Schicksal trugen, anders sein? Während sie noch darüber nachsann, überhörte sie beinahe die nächste Frage Bellonis. »Wie ich schon sagte, war mein Vater ein Köhler. Was war denn der Eure?«
Giulia rief sich energisch zur Ordnung und schenkte ihm ein Lächeln. »Mein Vater war Kapellmeister eines Adligen.«
»Und hat sich von seinem hochwohlgeborenen Herrn beschwatzen lassen, Euch zu beschneiden«, folgerte Belloni messerscharf. Er sah Giulia mit einem Blick an, der ihr in der Seele schmerzte. »Ihr besitzt eine eindringliche, ja fast magische Stimme, Casamonte. Nie habe ich meinen Verlust mehr gespürt als eben bei Eurem Gesang.«
Giulia erschrak. Instinktiv spürte sie, dass Belloni hinter ihr Geheimnis kommen würde, wenn ihre Bekanntschaft länger anhielt. Selbst jetzt fühlte sie sich unter seinem forschenden Blick nicht mehr sicher. Zu ihrem Glück erschien der Höfling Herzog Guglielmos und rief sie in die Camera degli Sposi zurück. Den verärgerten Gesichtern der Hofmusiker zufolge hatte ihr Favorit Sebaldi nicht gewonnen. Der Herzog wirkte auch jetzt eher wie ein unerschütterliches Bild denn wie ein lebender Mensch, während sich die Dame an seiner Seite zurückgezogen hatte. »Es ist der Wille Seiner allergnädigsten Durchlaucht, Euch sein Urteil mitteilen zu lassen«, erklärte der Höfling mit getragener Stimme. »Unerreichter Sieger und von der Gnadensonne Seiner durchlauchtigsten Herrlichkeit ausgezeichnet ist Giacomo Belloni, genannt der Unvergleichliche.«
Noch während der Höfling sprach, trat ein Diener vor und
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