Die Kastratin
wurden, stimmte sie den ersten Ton an und ließ sich von der Kraft ihrer Musik davontragen.
Erst als sie ihr drittes Lied beendet hatte, erinnerte sie sich wieder an die Sanduhr und wusste im ersten Augenblick nicht, ob sie jetzt zu lange oder zu kurz gesungen hatte. Dem Beifall nach, den sie zu hören bekam, schien ihr Vortrag gefallen zu haben. Sie warf einen kurzen Blick auf den Herzog, der zwar nicht wie die anderen in die Hände klatschte, aber gnädig mit dem Kopf nickte. Die Dame neben ihm stützte nachdenklich die Wange auf ihre Hand und musterte sie mit einem schwer zu deutenden Blick. Auch die Musiker rührten keine Hand, sondern tuschelten in auffälliger Weise miteinander. Dafür klatschte Belloni ehrlich Beifall, während Sebaldi ein Gesicht zog, als hätte er soeben eine ganze Zitrone auf einmal verschluckt.
Giulia war erleichtert, es hinter sich gebracht zu haben, und zog sich ein paar Schritte zurück. An ihrer Stelle trat jetzt Sebaldi vor. »Als Erstes werde ich das neueste Werk des ehrenwerten Messer Guantoni vortragen.« Sebaldi verbeugte sich dabei vor dem Ersten der Hofmusiker und bat ihn, die Melodie anzustimmen.
Als er zu singen begann, fand Giulia, dass er für einen Kastraten eine eher tiefe Stimme besaß. So ähnlich müsste Ludovico klingen, wenn er kastriert worden wäre. Erschrocken wehrte Giulia den Gedanken an den ehemaligen Solosänger des Knabenchors von San Ippolito ab, denn er erinnerte sie wieder an ihre ständigen Albträume und schien ihr an diesem Ort ein schlechtes Omen. Zu allem Überfluss entdeckte sie nun auch die vier Hofsänger im Hintergrund und hoffte, diese würden nicht zu Rate gezogen, wenn es um die Auswahl des Siegers ging.
Wie erwartet wählte Sebaldi auch als nächstes Lied das Werk eines Hofkomponisten Herzog Guglielmos. Der Kastrat hatte sich anscheinend hervorragend auf diesen Wettbewerb vorbereitet und die wichtigen Verbindungen geknüpft, die ihr Vater so schmählich vernachlässigt hatte. Aus dem Geflüster hinter ihr entnahm Giulia, dass die Hofmusiker den Herzog beraten sollten, und stellte sich darauf ein, den letzten Platz zu belegen. Sie würde sich nur damit trösten können, dass sie mit ihrer Stimme allein nicht gegen gute Beziehungen bestehen konnte.
Auch das dritte Lied Sebaldis stammte von den Komponisten des Herzogs und zog nach seinem Ende die begeisterten Bravorufe der Musiker nach sich. Noch während der Hof Beifall spendete, trat Belloni nach vorne. Er machte dabei ein Gesicht, als ginge ihn das alles nichts an. Giulia hörte die spöttischen Bemerkungen einiger Höflinge, die sich über die groteske Gestalt lustig machten. Der Spott blieb ihnen jedoch im Halse stecken, als der Kastrat zu singen begann. Selbst Giulia musste zugeben, noch nie eine besser ausgebildete Stimme gehört zu haben.
Als Belloni schließlich sein letztes Lied beendet hatte, war es für Augenblicke so still im Raum, dass man den Lauf einer Spinne hätte hören können. Danach brandete der Beifall wie ein Orkan über den hässlichen, aber unvergleichlichen Künstler herein. Die trüben Gesichter, welche die drei Hofkomponisten und auch die vier Hofsänger machten, zeigten nicht nur Giulia, dass es nur einen Sieger geben konnte. Sebaldi, der nicht weit von ihr entfernt stand, stieß einen halblauten Fluch aus und knirschte mit den Zähnen. Giulia vergönnte ihm den Schlag, denn der Nichtmann war ihr so unsympathisch wie ein Steuereintreiber.
Der Höfling, der ihnen die Regeln des Wettstreites verkündet hatte, winkte Giulia und den beiden Kastraten, den Raum zu verlassen. »Ihr werdet gebeten, euch zurückzuziehen, damit das Urteil gefällt werden kann.«
Er sagte tatsächlich Urteil, als ständen sie vor Gericht, schoss es Giulia durch den Kopf. Sie hoffte, dass es bald vorbei sein würde und sie wieder nach Hause gehen konnte, wenn man ihr Logis im Goldenen Lamm als solches bezeichnen konnte.
Während sie in einem Nebenraum auf die Entscheidung des Herzogs warteten, sonderte sich Sebaldi ab und tat so, als würde er die Gemälde an den Wänden betrachten. Belloni hingegen blieb neben Giulia stehen und legte ihr die Hand auf den Arm. »Ihr habt eine ausgezeichnete Stimme, Casamonte. Eine wirklich ausgezeichnete sogar«, erklärte er mit sichtlicher Anerkennung. Er schränkte sein Lob jedoch sofort wieder ein. »Man merkt Euch jedoch an, dass Ihr privat ausgebildet wurdet und nicht an einem der großen Konservatorien studiert habt. Euer Stil wirkt veraltet, und
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