Die Kastratin
angekündigt, länger bleiben zu wollen. Da wird sich bald kein Mensch mehr für mich interessieren.«
Da ihr Vater keine Antwort gab, sondern sich sehr betont mit seinem Weinkelch beschäftigte, wurde sie deutlicher. »Du hättest längst die Bekanntschaft der Komponisten am Hofe Herzog Guglielmos suchen und sie damit beauftragen müssen, einige Musikstücke für mich zu schreiben, wie der Herzog sie gerne hört. In diesem Fall hätte ich vielleicht eine Chance gehabt, den Wettstreit der Kastraten zu gewinnen.«
Girolamo Casamonte ließ sich auch durch diesen Einwand nicht aus der Ruhe bringen. Er trank einen Schluck Wein, bevor er sich wieder seiner Tochter zuwandte. »Warum hätte ich teures Geld für die Komponisten des Herzogs hinauswerfen sollen, wenn sie doch nach deinem Sieg umsonst für dich arbeiten müssen? Ach, Kind, du bist einfach nur überreizt und hast Lampenfieber. Aber das ist ganz normal. Du wirst sehen, sobald du vor dem Herzog stehst und singst, wird alles in Ordnung kommen.«
Giulia begriff, dass sie auch heute seinen Wall aus Wein und selbstzufriedener Eigenliebe nicht durchstoßen konnte. Vielleicht würde ein schnelles und schmerzhaftes Ende ihres Aufenthalts in Mantua seine Selbstgefälligkeit stören und ihn aufschrecken. Doch selbst hier hatte sie ihre Zweifel. Er würde die Schuld an ihrem Scheitern mit Sicherheit nicht bei sich suchen, sondern bei ihr. Dabei hatte sie getan, was sie konnte. Sie hatte sogar einige Lieder komponiert, um ihren Zuhörern einmal etwas Neues bieten zu können. Aber da ihr Vater sie niemals richtig in die Kunst des Komponierens eingewiesen hatte, war das Ergebnis nicht überzeugend. Die Stücke waren höchstens für die Geburtstagsfeier einer Schneidersgattin geeignet. Vor dem Herzog konnte sie damit nicht bestehen.
Ihr Zorn wollte sie zwingen, ihrem Vater den Weinbecher aus der Hand zu schlagen und ihm einige sehr unangenehme Wahrheiten an den Kopf zu werfen. Doch in den Jahren, die sie als Kastrat verkleidet hier gelebt hatte, war ihr eine fast steinerne Ruhe zur zweiten Natur geworden. Nur dann, wenn sie sich immer und in jeder Lage beherrschte, konnte sie vor Entdeckung sicher sein.
Sie verließ ihren Vater ohne Gruß und kehrte in ihr Zimmer zurück. Obwohl sie die Zeit bis zu ihrem abendlichen Auftritt nutzte, um ihre Sicherheit bei einigen schwierigen Gesängen zu verbessern, war ihr mehr als bewusst, dass sie mit einem Giacomo Belloni zumindest jetzt noch nicht konkurrieren konnte. Wahrscheinlich würde sie auch noch Sebaldi den Vortritt lassen müssen.
II .
A ls sie auf den Palazzo Ducale zuschritt, spürte Giulia ihr Herz bis in den Hals klopfen. Beppo schien ebenfalls Angst vor dem Ausgang des Wettbewerbs zu haben, denn er schlich mit der Miene eines geprügelten Hundes hinter ihr her. Auch heute, an diesem so wichtigen Tag, hatte ihr Vater Giulia im Stich gelassen. Während er sich im Goldenen Lamm den Freuden der Küche und des Kellers hingab, musste sie sich der Konkurrenz der beiden Kastraten stellen, die der Herzog für diesen Wettstreit berufen hatte. Giulia wusste rein gar nichts über die musikalischen Vorlieben Guglielmo Gonzagas. Auch hier hatte ihr Vater, dem genügend Zeit geblieben wäre, um Erkundigungen einzuziehen, schmählich versagt.
Die Wachen am Tor in ihren prunkvollen Rüstungen und federgeschmückten Helmen missachteten ihre Ankunft in fast beleidigender Weise. Dafür trat ein kaum weniger prächtig gekleideter Lakai auf sie zu.
Giulia überreichte ihm die auf kunstvollem Büttenpapier geschriebene Einladung zum Wettstreit, auf der dreifach das herzogliche Siegel prangte. »Signore Casamonte.« Es war weniger eine Frage als eine Feststellung. Giulia nickte bejahend und überlegte, ob sie nun vergrätzt sein sollte, weil sie vom Messer Casamonte wieder zum einfachen Signore zurückgestuft worden war, lächelte dann jedoch innerlich über sich selbst. Wenn sie sich jetzt mit Nebensächlichkeiten aufhielt, könnte sie gleich nach Hause zurückkehren. Schließlich mochte ihr noch die Begegnung mit den vier arroganten Hofsängern bevorstehen, die versucht hatten, sie bei Coelia Morri hinauszuekeln. Für einen Moment wäre sie am liebsten umgekehrt, denn wenn sie den Wettbewerb wider Erwarten gewann, würde sie ständig mit den vier Herren zusammenarbeiten müssen, und das würde ihr das Leben schwer machen. Aber sie musste durchhalten, denn wenn sie kniff, verursachte sie einen kleinen Skandal, und niemand würde ihr hier
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