Die Kastratin
vermeiden. Sie wusste zuletzt nicht mehr, wie lange sie an den Türpfosten gelehnt gesungen hatte, als die beiden Frauen wieder erschienen. Ihre Gesichter wirkten sichtlich erleichtert. »Erlaucht schläft jetzt. Ihr habt Eure Sache gut gemacht, Casamonte.« Es fiel der Mamsell sichtlich schwer, dieses Lob auszusprechen, doch sie wollte der Kammerfrau nicht das Feld überlassen. »Ihr könnt Euch zurückziehen«, beschied diese Giulia und schloss die Tür des Schlafgemachs von innen.
Giulia wollte die Mamsell bitten, ihr etwas zu essen bringen zu lassen, doch diese war schon im Dämmerlicht der Gänge untergetaucht. Verärgert machte Giulia sich auf die Suche nach ihrer Kammer, die sie nach längerem Irrweg auch fand. Drinnen brannte eine Öllampe, und auf dem Tisch stand ein Tablett mit Brot und kaltem Braten, dazu ein kleiner Krug Wein. Giulia bedankte sich innerlich bei Risa und nahm sich vor, ihr eine weitere Münze zukommen zu lassen.
VI .
W aschwasser und Frühstück kamen am nächsten Morgen so pünktlich, als hätte die Mamsell ihren Untergebenen Beine gemacht. Für Giulia war die Situation dennoch recht schwierig. Um sich richtig frisch zu machen und wieder anziehen zu können, benötigte sie immer noch Assumptas Hilfe. Und da sie die Tür nicht verschließen konnte, musste sie jeden Augenblick damit rechnen, dass jemand mit einer Schüssel oder einem Laken hineinstürmte und sie halbnackt überraschte. Fast wäre es ihr lieber gewesen, die Bediensteten hätten sie weiter ignoriert und ihre Betreuung ihrer eigenen Dienerin überlassen. Wie es aussah, dachte sie besorgt, würde es an ein Wunder grenzen, wenn sie in diesem Haushalt einer Entdeckung entging.
In Mantua war es leichter für sie gewesen, denn das Personal des Goldenen Lamms hatte sich praktisch nicht um sie gekümmert, sondern die kleinste Handreichung Assumpta überlassen, die neben den Pflichten einer Kammerfrau auch noch die eines Stubenmädchens hatte übernehmen müssen. Doch hier auf dem Land besaß man eine andere Arbeitsauffassung als in einer städtischen Herberge.
Irgendwie schaffte Giulia es, sich zu waschen und den Brustgurt anzulegen, der mittlerweile die störenden Leinenbänder ersetzte, ohne dass sie von jemand überrascht wurde. Als sie schließlich erleichtert am Frühstückstisch saß, erschien Assumpta auf der Bildfläche. Die Dienerin zupfte mehr aus Gewohnheit als aus Notwendigkeit an ihrer Kleidung herum und legte schließlich Wams und Barett bereit. »Also wenn Ihr mich fragt, Herr Giulio, sind wir in einem recht eigenartigen Haushalt gelandet.« Da Assumpta sie als Kastraten anredete, schien ihr bewusst zu sein, wie vorsichtig sie sein mussten.
Giulia deutete ihr mit einem erleichterten Lächeln an, wie froh sie war, sie zu sehen. »Seid ihr gut untergebracht worden?«
»Es geht. Unsere Kammer ist nicht groß, aber für Beppo und mich reicht sie aus. Euer Vater jammert jedoch inständig und spricht davon, keine weitere Nacht in diesem Haus verbringen zu wollen. Ich verstehe seinen Ärger, denn man hat ihm ein Dienstbotenzimmer angewiesen, das keinen Vergleich mit dem schönen Gemächer aushält, das er in Mantua bewohnt hat.« Assumptas Stimme klang zwar mitleidig, Giulia konnte sich des Eindrucks jedoch nicht erwehren, dass die Dienerin sich zu freuen schien, weil ihr Herr hier nicht besser wohnte als sie und ihr Mann.
Giulia hatte aber nicht die Zeit, sich mit ihrer Vertrauten zu besprechen, denn es klopfte schüchtern an die Tür. Ein paar Herzschläge später steckte Risa vorsichtig den Kopf herein. »Erlaucht wünscht, Euch zu sehen.«
»Ich komme.« Giulia stopfte den letzten Brocken Brot in den Mund und spülte ihn mit dem wässrigen Wein, den man ihr als Morgentrunk aufgetischt hatte, hinunter. Dann folgte sie der Magd zu den Gemächern der Dame.
Die Gräfinwitwe wirkte noch etwas matt, es schien ihr aber bereits besser zu gehen. Sie begrüßte Giulia mit einem dankbaren Lächeln und wies mit der Hand auf den Stuhl, der neben ihrem Bett stand. »Setzt Euch, Casamonte.«
»Verzeiht, Erlaucht. Doch ich bin es gewöhnt, beim Singen zu stehen.« Giulia verneigte sich und legte ihre Rechte auf die Lehne des Stuhls. »Ich vergaß, dass Ihr mit Leib und Seele ein Künstler seid. Doch macht es Euch zunächst einmal bequem. Gestern Nacht wart Ihr mein rettender Engel. Nie zuvor konnte ich bei so einem schlimmen Migräneanfall einschlafen. Ihr habt dieses Wunder bewirkt.«
Unterdessen trat die Kammerfrau ein,
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