Die Kastratin
passiert. Doch der Weg, der von dort hierher führte, war in so schlechtem Zustand, dass niemand ihn ohne Not befahren würde.
Während die Kutsche durch das Dorf fuhr und den steilen Weg zur Burg hoch holperte, mussten Assumpta und Beppo wieder einmal die Gepäckteile bändigen, die sich selbständig machen wollten. Doch trotz all dieser schlechten Vorzeichen nahm Giulia sich fest vor, die vereinbarte Zeit in Falena auszuharren. Sie war auf das Geld, das sie hier verdienen würde, angewiesen, wenn sie ihre Stimme weiter ausbilden lassen wollte. Ein Blick auf ihren Vater zeigte ihr, dass es ihm hier überhaupt nicht gefiel. Er blickte mit Abscheu auf die kleinen Hütten und die pittoresk gekleideten Dörfler, die auf winzigen Feldern arbeiteten, und schüttelte sich sichtbar. Giulia betete unwillkürlich zur Madonna, dass er ihr keine Schwierigkeiten machen würde.
Wenige Augenblicke später rumpelte die Kutsche durch das Burgtor und hielt in einem relativ kleinen Innenhof. Die Gebäude waren aus den gleichen grauen Steinquadern errichtet wie die Außenmauer. Kleine Fenster, kaum mehr als Schießscharten, kündeten von düsteren Zimmern, und die Mienen der Bediensteten, die auf den Wagen zu traten, wirkten verschlossen, ja fast abweisend.
Casamonte stieg ächzend aus und sah sich um. »Diese Burg mag vielleicht zur Zeit eines Imperatore Federigo Barbarossa in Mode gewesen sein. Doch jetzt würde ich lieber einem Palazzo wie dem des Grafen Gisiberto Corrabialli den Vorzug geben.«
Obwohl Giulia dasselbe dachte, fand sie es unpassend, dass ihr Vater seine Verachtung offen vor den Leuten der Gräfinwitwe äußerte. Schließlich mussten sie ja mit den Bediensteten der Burg auskommen, wenn sie nicht feuchte, ungelüftete Bettwäsche und eiskaltes Waschwasser in Kauf nehmen wollten. Sie ging auf eine Frau zu, deren Tracht sie als die Mamsell der Gräfin auswies, und neigte kurz den Kopf. »Mein Name ist Giulio Casamonte. Ihre Erlaucht, die Gräfinwitwe, erwies mir die Gnade, mich für diesen Winter zu engagieren.«
»Ihr seid ein Sänger?« Die Mamsell zeigte deutlich, wie wenig sie von Künstlern hielt. »Nicht irgendein Sänger«, mischte sich Giulias Vater empört ein. »Mein Sohn ist der beste Kastrat, der je seine Stimme erhoben hat.«
»Ein Kastrat also. Ich dachte es mir schon, weil er wie ein halbes Weib aussieht.« Die Mamsell wandte sich wieder an Giulia. »Dafür könnt Ihr ja nichts. Andere hingegen sehr viel.« Der Abscheu, der dabei in ihrer Stimme schwang, ließ Giulia nichts Gutes für ihren Vater erwarten. Zum Glück hielt er jetzt den Mund und folgte der Aufforderung der Mamsell, ins Haus zu kommen. »Signore Casamonte, Ihr werdet einen Raum im Hauptgebäude beziehen, so dass Ihr unserer Herrin rasch zur Verfügung stehen könnt. Euer Vater und die Dienstboten werden dort im Nebengebäude untergebracht. Ich werde mir noch überlegen, für was sie verwendet werden können.«
Giulias Vater wurde bei der Androhung, eventuell Dienstbotenarbeiten leisten zu müssen, ganz blass, während Beppo und Assumpta erleichtert aufatmeten. Wenn sie hier mitarbeiten konnten, bedeutete dies einen kleinen Nebenverdienst für sie, und sie würden anders als in Mantua kein Opfer der Langeweile.
Das Zimmer, das Giulia zugewiesen wurde, war geräumig und hatte sogar einen eigenen Kamin, der jedoch schon seit Jahren kein Feuer mehr gesehen hatte. Ein festes Bett, eine Truhe, ein kleiner Tisch und ein dreibeiniger Schemel vervollständigten die Einrichtung. Die verputzten Wände waren vor langer Zeit einmal gestrichen worden, glänzten jetzt aber an einigen Stellen feucht. Alles in allem war der Raum nicht gerade heimelig zu nennen. Am meisten störte Giulia die Tatsache, dass sich die Tür nicht von innen versperren ließ. Sie wollte jedoch nicht schon am ersten Tag Kritik üben und beschloss, Assumpta zu bitten, ihr einen Besen oder Stock zu besorgen, mit dem sie die Klinke blockieren konnte.
Noch während sich Giulia in dem Raum umsah, forderte die Mamsell Girolamo Casamonte und das Dienerpaar auf, ihr zu folgen. Giulia sah sie kurze Zeit später über den Hof gehen und in einem Nebengebäude verschwinden. Unterdessen war ein weiteres Gefährt angekommen, welches das Gepäck der Gräfinwitwe brachte. Sofort eilten die Bediensteten herbei, um den Wagen auszuladen. Nach kurzer Zeit erschien auch die Mamsell im Hof. Sie machte ein Gesicht, als hätte sich eine ganze Kompanie unerwünschter Gäste eingefunden, um ihr
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