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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Mund und knickste erschrocken. »Verzeihung, ich wollte nicht hereinplatzen. Aber wir machen uns Sorgen um die gnädige Frau Gräfin. Celestina, die Kammerfrau, bittet Euch, zu ihr zu kommen.«
    »Gerne. Aber kannst du mir sagen, ob es hier Sitte ist, die Gäste verhungern zu lassen? Ich habe seit heute Morgen nichts mehr zu mir genommen, und jetzt ist schon die vierte Abendstunde verstrichen.« Giulia hatte eigentlich nicht so bissig antworten wollen, doch es schien, als hätte ihr Magen das Kommando über ihren Mund ergriffen.
    Risa zuckte schuldbewusst zusammen. »Madonna, wir haben Euch ganz vergessen! Euren Begleitern werde ich gleich etwas zu essen bringen. Aber bitte begleitet Ihr mich zuerst zur Kammerfrau. Sie wartet ganz dringend auf Euch.«
    Giulia wollte es an diesem Abend nicht auf eine Konfrontation ankommen lassen, bei der sie gewiss den Kürzeren gezogen hätte. So verabschiedete sich innerlich von ihrem Abendessen und folgte Risa durch ein Gewirr verschachtelter Gänge zu den Gemächern der Gräfin. Die Kammerfrau und die Mamsell erwarteten sie vor der offenen Tür des abgedunkelten Schlafzimmers. Ihre Mienen wirkten höchst besorgt, und sie sahen Giulia so vorwurfsvoll entgegen, als sei sie an all ihrem Ärger schuld. »Erlaucht ist unterwegs erkrankt«, flüsterte die Kammerfrau mit fast unhörbarer Stimme. »Sie hat einen schweren Migräne-anfall. Wir wussten kaum, wie wir sie nach Hause bringen sollten.«
    Vielleicht wäre es angebracht, die Straße zur Burg auszubessern, schoss es Giulia durch den Kopf. Sie konnte erahnen, welche Qual es für die Gräfinwitwe gewesen sein musste, mit starken Kopfschmerzen über diese Ansammlung von Schlaglöchern und herabgefallenen Steinen transportiert zu werden. Sie hielt jedoch wohlweislich den Mund und deutete eine Verbeugung an. »Warum habt Ihr mich rufen lassen?«
    Die Kammerfrau deutete ihr mit heftiger Geste an, noch leiser zu sprechen. »Erlaucht leidet entsetzlich. Sie hat sich jedoch in den Kopf gesetzt, Euch singen zu hören, weil sie hofft, Eure Stimme würde ihr die Schmerzen erträglich machen.«
    Die Mamsell schüttelte empört den Kopf und brachte es fertig, tonlos heftig zu werden. »Gesang! Ha! Ich weiß nicht, was Ihr Erlaucht eingeredet habt, Casamonte. Es ist doch jedermann bekannt, dass man sich bei Migräne in einen abgedunkelten Raum legen und bei völliger Ruhe die Dämpfe von Kamille und Kampfer inhalieren soll.«
    »Es war nicht der Kastrat, sondern der Arzt, der Erlaucht geraten hat, sich vorsingen zu lassen.« Die Kammerfrau sprach über Giulias Kopf hinweg, als sei sie kein Mensch, sondern ein Gegenstand.
    Giulia fühlte die Eifersucht der beiden Frauen aufeinander und war alles andere als glücklich, in deren Streit hineingezogen zu werden. Da ihre Mutter auch unter Migräneanfällen gelitten hatte, wusste sie, dass ein dunkler Raum und Stille die besten Heilmittel waren. Die Kammerfrau erklärte ihr jedoch eindringlich, dass die Gräfinwitwe ihre Stimme hören wollte, und befahl ihr kurzerhand, endlich anzufangen.
    Giulia warf einen Blick in das Schlafzimmer, in dem sich das große Himmelbett der Gräfin als dunkler Schemen erahnen ließ, und überlegte fieberhaft, wie sie sich aus dieser unangenehmen Lage herauswinden konnte. Wenn sie sang und der Gräfin ging es danach schlechter, hatte sie sich das letzte Fünkchen Wohlwollen der Kammerfrau verspielt und gleichzeitig in der Mamsell eine Feindin gewonnen, die ihr den Aufenthalt hier in Falena zur Hölle machen würde. Da ihr jedoch nichts anderes übrig blieb, als zu singen, stimmte sie schließlich mit verhaltener Stimme ein Lied an. Sie wählte dabei unwillkürlich eines der Wiegenlieder, die sie als Kind gelernt hatte.
    Die Kammerfrau sah sie empört an. Anscheinend hatte sie eine schmetternde Arie erwartet. Die Mamsell hingegen nickte halbwegs besänftigt und trippelte auf Zehenspitzen ans Bett ihrer Herrin. Als sie wieder herauskam, bedeutete sie Giulia, weiter zu singen. »Erlaucht fühlt bereits Besserung. Euer Gesang tut ihr wohl.« Mit diesen Worten verschwand sie wieder im Schlafzimmer. Das schien der Kammerfrau ganz und gar nicht zu gefallen, denn sie stieß ein kaum unterdrücktes Schnauben aus und folgte ihr. Schließlich waren die Gemächer der Gräfin ihr ureigenstes Reich und nicht das der Mamsell.
    Giulia sang der Reihe nach alle Schlaf- und Wiegenlieder, die sie kannte, und bemühte sich dabei, nicht zu laut zu werden und alle störenden Tonspitzen zu

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