Die Kastratin
durch mehrere Korridore in sein Zimmer, das zwar karg, aber behaglich eingerichtet war. Das Bett war hinter einem quer durch den Raum gespannten Vorhang verborgen. Vorne standen ein Betstuhl, ein Tisch mit zwei Hockern und eine Anrichte, auf der mehrere Musikinstrumente lagen.
Giulia warf einen bewundernden Blick auf die kleine, aber erlesene Sammlung. Sie hatte schon längere Zeit nicht mehr gespielt und fühlte plötzlich den Wunsch, sich selbst zu begleiten. Pater Franco deutete ihren Blick ganz richtig, denn er reichte ihr seine Laute. »Könnt Ihr darauf spielen?«
Statt einer Antwort schlug Giulia mehrere Akkorde an und trug die Melodie zu einem der einfachen Lieder ohne größeren Fehler vor.
Pater Franco nickte anerkennend. »Nun wiederholt die Passage und singt den Text dazu.«
Giulia tat es und wunderte sich, wie viel Spaß es ihr machte. Ohne auf eine weitere Aufforderung zu warten, stimmte sie den Gombert-Chanson an und freute sich, wie schön es mit Lautenbegleitung klang.
Pater Franco hörte ihr mit verzückter Miene zu und klatschte, als sie fertig war, begeistert in die Hände. »Erlaucht hat mit Euch einen besseren Griff getan, als sie es sich vorstellen kann. Ihr seid kein von einem übel gelaunten Korepetitor dressierter Choraffe, sondern ein wahrer Edelstein, den es nur noch hier und da ein wenig auszuschleifen gilt.«
»Ich würde mich freuen, wenn Ihr mir dabei helfen könntet«, antwortete Giulia voller Hoffnung, endlich wieder richtig lernen zu können.
Pater Franco rieb sich nachdenklich über sein stoppeliges Kinn und nickte schließlich. »Ich bin zwar kein Musiklehrer, doch ich glaube, das eine oder andere kann ich Euch beibringen. Es ist ja auch im Interesse Ihrer Erlaucht, denn je besser Ihr auf ihren Geschmack und ihre Stimmungen eingehen könnt, umso leichter wird es Euch fallen, gegen ihre düsteren Gedanken anzukämpfen. Und das, so lasst Euch sagen, ist ein Werk, das die Taten eines Herkules verblassen lässt.«
»Ist es so schlimm?«, fragte Giulia betroffen.
Der Mönch nickte traurig. »Leider. Im letzten Jahr war Erlaucht nicht einmal in der Lage, der Festa di Natale beizuwohnen. Für die Leute hier in der Burg und unten im Dorf war das eine herbe Enttäuschung.«
»Hoffen wir, dass es uns beiden gelingt, Erlaucht bei so guter Laune zu erhalten, dass sie diesmal mitfeiern kann.« Giulia reichte dem Mönch in einem Impuls die Hand und sah überrascht, wie er eine Träne von seiner Wange wischte. »Ihr seid wirklich in Ordnung, Casamonte. Die Kastraten, die ich kennen gelernt habe, würden sich jeden Erfolg allein auf ihren Schild malen. Doch Euer Herz ist frei von Falschheit und Eigennutz.«
Das war etwas zu viel des Lobes für Giulia. Sie legte die Laute wieder aus der Hand und senkte beschämt den Kopf. Pater Franco ließ jedoch keine traurige Stimmung aufkommen. Er kramte in einer Anrichte, holte ein mit Noten bedecktes Blatt heraus und reichte es ihr. »Das ist das Lied, das Erlaucht am liebsten bei der Festa di Natale hört. Da wir beide uns so sicher sind, dass sie heuer dabei ist, solltet Ihr es lernen.«
VII .
E inige Zeit später kehrte Giulia mit dem Gefühl, einen angenehmen Vormittag verbracht zu haben, in ihre Kammer zurück. Bei Pater Franco hatte sie das Verständnis gefunden, welches sie bei ihrem Vater seit Jahren vermisste. Er hatte ihr sogar angeboten, Lieder so für sie zu vertonen, dass sie genau auf ihre Tonlage abgestimmt waren, und er wollte ihr auch helfen, anhand dieser Beispiele ihre eigenen Fähigkeiten im Komponieren zu verbessern.
Beschwingt öffnete sie die Tür und sah die Mamsell im Zimmer stehen, wie sie zwei Bedienstete überwachte, die gerade dabei waren, den Kamin zu reinigen und neu zu schüren. Als Giulia hereinkam, drehte sich die Frau freundlich lächelnd um. »Ich lasse anheizen, damit die Herbstkälte nicht in Euer Zimmer dringen kann. Eurer gesegneten Stimme darf nichts geschehen.«
»Ich danke Euch. Eine Erkältung ist für einen Sänger wirklich fatal.« Giulia wusste nicht, ob sie sich über diese Entwicklung freuen sollte. Solange man sich wenig um sie kümmerte, war sie halbwegs ungefährdet. Wenn aber ständig Leute in ihrem Zimmer auftauchten, würde sie auf Dauer kaum einer Entlarvung entgehen können. Sie beschloss, die positive Stimmung der Mamsell auszunutzen. »Ich äußere ungern Kritik, doch ich liebe es nicht, in einem Zimmer zu wohnen, das ich nicht von innen verschließen kann. Es wäre für mich
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