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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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etwas weniger zugesprochen hätte. Schließlich lag er als wimmerndes Bündel auf dem Teppich und zuckte unter den Fußtritten der Edelleute. Als einer von ihnen den Dolch zog, griff Olimpia Cotturi ein. »Lasst ab. Er hat genug abbekommen. Einen Toten würden mir die Behörden von Herzog Ercole verargen.«
    Der Edelmann schob den Dolch mit einer bedauernden Geste in die Scheide, beugte sich dann noch einmal zu Casamonte herab und riss dessen Kopf an den Haaren hoch. »Höre mir gut zu, Gimpel. Verschwinde so schnell wie möglich aus Modena. Sonst badest du doch noch in der Secchia, aber erst, wenn mein Dolch dein Blut getrunken hat.«
    Er lachte darüber wie über einen guten Witz und kehrte mit seinen Kameraden zu den Kurtisanen zurück.
    Olimpia Cotturi blickte auf den halb bewusstlosen Mann herab und überlegte, ob sie ihm helfen sollte. Dann dachte sie an ihre hochgeborenen Gäste, die ihr das wohl verargen würden, und wies ihre Dienerinnen an, den Mann vor die Tür zu schleifen.

XII .
    H eute war nicht der Tag von Vincenzo de la Torre gewesen. Seit dem Morgen hatte er an die Türen etlicher entfernter Bekannter geklopft, nur um festzustellen, dass sie sich ausnahmslos verleugnen ließen. Als er am Abend müde und vor allen Dingen sehr hungrig in seine Herberge zurückgekehrt war, ließ sein Wirt ihn von zwei handfesten Knechten an die Luft setzen. Dabei war er dem Kerl höchstens für zwei Monate die Miete schuldig geblieben. Er war sich sicher, dass er am nächsten oder übernächsten Tag einen Freund finden würde, der ihm aus der derzeitigen Klemme half. Er musste nur eine Gelegenheit finden, sich auszuschlafen und sein Äußeres wieder etwas aufzupolieren. Ganz in Gedanken tastete er sein Bündel ab, das der Wirt ihm hatte nachwerfen lassen, und fluchte laut. Der Kerl hatte doch tatsächlich sein letztes gutes Hemd als Bezahlung behalten. »Die Läuse und Wanzen sollen ihn auffressen!« Vincenzo schimpfte noch eine Weile vor sich hin, während er den spärlichen Rest seines Besitzes schulterte und vorsichtig die Straße entlang stakste, um in der infernalischen Schwärze ringsum nicht über einen achtlos stehen gelassenen Gegenstand zu stolpern. Leider wusste er sehr gut, dass er selbst ein Opfer des Ungeziefers werden würde, wenn er nicht bald einen Ausweg fand. Er hatte bereits seine Laute und seinen Degen versetzen müssen, doch auch von dem Geld fand sich kein Denaro mehr in seinen Taschen. Dabei knurrte sein Magen mehr als unanständig, und er ertappte sich dabei, wie er um eine Taverne herumstrich wie ein verliebter Kater um eine rollige Katzendame.
    Da ihm kein Wirt und auch keine Wirtin mehr für gute Worte etwas zu essen gab, ging er weiter und weiter, ohne zu wissen, wohin. Das Beste würde sein, wenn er am nächsten Morgen Modena verließ und versuchte, unterwegs etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Notfalls musste er in den sauren Apfel beißen und Holz hacken oder einen Weinberg jäten. Wenn einer seiner Standesgenossen ihn bei dieser entwürdigenden Tätigkeit erkannte, lief er allerdings Gefahr, Zeit seines Lebens von seinesgleichen geschnitten zu werden. Bei dem Gedanken musste er wild auflachen. Schlimmer, als ihn die feine Gesellschaft in dieser Stadt behandelt hatte, konnte es kaum noch kommen. Er fühlte sich ja jetzt schon wie ein Aussätziger.
    Während seines ziellosen Marsches kam er durch die Via Alfonso und sah kurz zu den erleuchteten Fenstern der Casa Cotturi hoch. Er wusste vom Hörensagen, dass hier die teuersten Kurtisanen Modenas wohnten, hatte jedoch nie die Gelegenheit oder vielmehr das Geld besessen, dort verkehren zu können. Während er sich an dem Haus vorbeitastete, stieß er mit dem Fuß gegen etwas Weiches. Gleichzeitig vernahm er ein jämmerliches Stöhnen.
    Vincenzo beugte sich nieder und ertastete einen Mann, der mitten auf der Straße lag und anscheinend nicht mehr aufstehen konnte. Plötzlich glitten seine Finger über eine prall gefüllte Börse. Für einen Augenblick geriet er in Versuchung. Selbst wenn der Beutel nur mit Silber gefüllt war, könnte er sich dafür neu ausstaffieren und würde nicht mehr so leicht von hochnäsigen Türstehern abgewiesen werden. Dann schüttelte er jedoch den Kopf. Es hatte bei den de la Torres in der Vergangenheit gewiss nicht nur Chorknaben gegeben. Aber noch keiner hatte sich so weit erniedrigt, ein gemeiner Dieb zu werden.
    Er ließ die Börse los, als wäre sie glühend geworden, und fasste nach dem Kopf des Mannes.

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