Die Katastrophe
von selbst durch den Spalt rutschte und nach einem entsetzlich langen Moment der totalen Enge spürte sie einen Windhauch, der über ihre Hand fuhr, die immer noch schmerzte.
Sie kniff die Augen zusammen. Nach der Dunkelheit im Innern der Höhle war sie völlig geblendet. Sie sah nur Blitze. Dafür vernahm sie ein spöttisches Kichern.
»Du hast ihn gefunden. Du hast den Weg tatsächlich allein gefunden.«
Katie blinzelte leicht. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen wieder an das Licht und sie erkannte Ana, die auf einem Stein saß, ihre Feldflasche in der Hand, und sie breit angrinste.
»Wovon sprichst du?«
»Das ist er – der Weg zum Ghost.«
Katie starrte sie an. »Der Weg zum Ghost?«
»Ja. Der Tunnel, den du gerade entdeckt hast.«
Katie hielt die Luft an. »Das ist nicht dein Ernst!«
Ana zuckte mit den Schultern. »Es gibt keinen Weg, der sicherer wäre. Und schneller. Der Bergstollen hinter dieser Wand führt genau unterhalb der Scharte zwischen den beiden Gipfeln durch den Berg. Wenn wir auf der anderen Seite sind, können wir auf der Rückseite hoch zur Hütte steigen.«
Nie, schoss es Katie durch den Kopf, nie im Leben gehe ich da noch einmal hinein.
»Das kannst du vergessen«, sagte sie laut. »Ich nehme den direkten Weg über die Wand.«
Ana stieß ein kurzes Lachen aus. »Ja, es mag von hier unten vielleicht so aussehen, als ob es möglich wäre. Aber du gehst drauf, wenn du es versuchst. Unter Garantie.« Ana erhob sich und verstaute die Flasche in ihrem Rucksack. »Das ist eben das Problem dieses Berges. Das Gestein ist so glatt, da kannst du alle Haken und Klemmkeile vergessen. Da brauchst du einen Bohrer. Der Tunnel ist von hier aus der einzig machbare Weg zum Ghost. Du wolltest ja unbedingt aus dem Tal starten. Von Fields aus wäre der Gletscher sehr viel leichter zu erreichen gewesen.«
»Ein Tunnel? Klingt für mich ziemlich bequem. Zumindest bleiben wir trocken, wenn das Wetter schlechter werden sollte.« Chris und die anderen tauchten aus dem Gebüsch auf. Sie hatten die Rucksäcke dabei. David trug Katies Gepäck und warf es ihr zu.
Die anderen hatten ihren Blick auf Ana gerichtet. Keiner schien ihre Autorität infrage zu stellen. Warum auch, dachte Katie, sie ist es, die in diesen Bergen aufgewachsen ist.
»Ist dieser Durchgang auf deiner Karte eingezeichnet?«, wandte Katie sich an Paul, der etwas abseits stand und die Szene spöttisch beobachtete.
»Niemand kennt diesen Tunnel«, erwiderte Ana an Pauls Stelle. »Aber glaub mir, es ist die einzige Möglichkeit.«
»Warum hast du mir das nicht eher gesagt?«, fragte Katie wütend. »Ich habe dir immer wieder erklärt, welche Route ich plane, und du hast kein Wort von einem Tunnel erwähnt.«
»Wozu?« Ana hob gleichgültig die Schultern. »Wir gehen im Grunde doch genau deinen Weg. Nur eben nicht über den Berg, sondern unter der Scharte durch.«
»Verdammt! Das hier sollte eine Klettertour werden. Und keine Höhlenforschung!«
»Keine Angst. Klettern werden wir noch früh genug. Und der Weg durch den Berg spart Zeit und Kraft, etwas, das wir dringend benötigen werden, um morgen über den Gletscher auf den Ghost zu steigen.«
Katie warf einen Blick in die Runde. David und Chris schienen ganz klar auf Anas Seite zu stehen. Benjamins Gesichtsausdruck konnte sie nicht erkennen, da er sich wie immer hinter der Kamera versteckte. Nur Julia schien etwas von der Furcht ihrer Freundin zu spüren. »Komm schon«, formten ihre Lippen und ihr Lächeln war nicht so spöttisch wie Pauls, sondern aufmunternd.
Es war schließlich Chris, der das Schweigen brach. Er machte die Gurte seines Rucksackes los, setzte ihn ab und schaute in die Runde: »Ana hat recht. Was stehen wir hier noch herum? Nichts wie los!«
»Okay, Chris, du gehst voran«, entschied Ana und deutete auf den Spalt. »Anschließend schieben wir die Rucksäcke durch und du nimmst sie in Empfang. Danach folgt einer nach dem anderen.«
Chris nickte und ging auf den Spalt zu, der wirklich nur zu erkennen war, wenn man wusste, dass er existierte. Er holte tief Luft, drehte den Kopf nach links und schob sich seitlich mit der rechten Schulter zwischen dem Felsen und der Wand hindurch.
Eine Weile herrschte Stille und dann erklang seine Stimme seltsam dumpf aus dem Innern des Berges: »Okay, ihr könnt loslegen. Her mit dem Gepäck. Und nehmt am besten vorher die Stirnlampen heraus. Hier sieht man die Hand nicht vor den Augen.«
Katie schloss die Augen und fühlte, wie
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